Alain Platel zeigt mit seiner Compagnie Les ballets C. de la B. die Choreografie „Out of Context – for Pina“ bei den Wiener Festwochen, eine Hommage an die im Vorjahr verstorbene Choreografin Pina Bausch: Die Tänzer schlüpfen in keine Rollen, sind einfach sie selbst – und zeigen, was Worte nie ausdrücken könnten.
Diesmal ist alles ganz anders. Out of Context eben. Nicht wie meist in Alain Platels Tanzstücken, gibt es diesmal keine realistisch nachgebauten Straßenzüge, keine üppigen Bühnenaufbauten mit Lagerhallen vor geschlossenen Gittertoren und auch kein Orchester. Nur eine leere schwarze Bühne, auf der vereinsamt zwei Mikrofonständer stehen und im Hintergrund ein Stapel Decken in ausgewaschenem Rot zu erkennen ist. Einige Minuten verstreichen, nur Leere und Stille.
Bis auf die Unterwäsche
Endlich hört man Tritte. Aus dem Zuschauerraum kommend, überquert die Tänzerin Rosalba Torres Guerrero die Spielfläche und beginnt sich mit dem Rücken zum Publikum bedächtig bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Die anderen acht Tänzer, unter ihnen zwei weitere Frauen, kommen ebenfalls aus unserer Mitte und tun es ihr gleich. Die Kleider legen sie fein säuberlich zu einem kleinen ordentlichen Häufchen zusammen. Dann stehen sie da in farbiger Unterwäsche und alle mit einer Decke um die Schultern gehängt.
Was in den folgenden 80 Minuten geschieht, ist weniger narrativ als in seinem Mozart-Stück „Wolf“ oder in „Vesper“ zu Monteverdi oder in der Choreografie „Pitié“, die auf Bachs Matthäuspassion beruht, wo sich der belgische Choreograf immer wieder mit dem Schicksal der Erniedrigten und Beleidigten unserer Welt auseinandersetzte. Diesmal schlüpfen die Tänzer in keine Rollen, sondern sind einfach sie selbst – eine Hommage an die im letzten Jahr verstorbene Choreografin Pina Bausch.
In einen Klangraum aus Tiergeräuschen – aus dem man das Muhen einer Kuh, das Röhren eines Hirsches, das Galoppieren einer Herde, das Krächzen einer Möwe oder das Brüllen einer Raubkatze herauszuhören meint, was sich später mit verfremdeten Popsongs und dunkel dröhnenden Beats vermischt – „tanzen“ die Performer mit einer ebenso erschreckenden wie humorvollen, aber immer stupenden Ausdrucksfähigkeit die Körpersprache des Unbewussten. Platel und seine Tänzer entfalten scheinbar unangestrengt und spielerisch eine Gesten- und Gebärdensprache, in der der ganze Mensch erscheint. Da zucken Gliedmaßen, spreizen sich Zehen, verbiegen sich Rücken, zappeln Beine, grimassieren Gesichter, schieben sich Körper ineinander oder stürzen ganze Leiber und erzeugen so geheimnisvolle, abgründige, aber auch melancholische oder humorvolle Bilder des ganz anderen in uns. All die Spasmen, Krämpfe, Zuckungen, Verdrehungen, manchmal voller Heiterkeit, dann nahe am Wahnsinn, sind dabei von einer entrückenden Schönheit.
Die Seele hat einen Körper
Platels Körper sind hier ein Ausdrucksorgan jenseits des Bewusstseins. Der leiblich sichtbar gemachte Mensch vermag geheime, unbeachtete Dinge über sich zu sagen, die keine Worte je auszudrücken imstande wären. Die Verrenkungen bedeuten jenseits der Verstandestätigkeit unmittelbar ein irrationales Selbst des Menschen und kommen aus einer Schicht der Seele, die Worte niemals ans Licht fördern könnten. Die Seele hat einen Körper und das Menschliche wird hier unmittelbar zu Körper, wortlos, sichtbar.