Das Prinzip des Freischwingers

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Das Wiener Hofmobiliendepot erinnert an den Designer und Architekten Marcel Breuer und widmet seinen Werken eine sehenswerte Ausstellung.

Auf seiner Visitenkarte stand nur sein Name - sonst nichts. Marcel Breuer war sich wohl dessen bewusst, dass er zu den bedeutendsten Gestaltern des 20. Jahrhunderts gehört. In Europa kennt man ihn vor allem als den Erfinder jener freischwingenden Stahlrohrsessel, die noch heute eine Ikone des modernen Wohnens sind. In den USA hingegen gilt er in erster Linie als bedeutender Architekt der Nachkriegsmoderne. Die Ausstellung "Marcel Breuer - Design und Architektur“ im Wiener Hofmobiliendepot zeigt anlässlich des 30. Todestages beide Facetten des Bauhaus-Mitglieds.

Stararchitekt ohne Ausbildung

Der 1902 in Ungarn geborene Breuer begann nach der Matura zunächst ein Studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste - später bezeichnete er dies als die unglücklichste Zeit seines Lebens. Nach wenigen Wochen verließ er Wien und ging an das damals frisch gegründete Bauhaus im deutschen Dessau. Dort absolvierte er eine Tischlerlehre und entwarf, inspiriert von der Lenkstange seines Fahrrades, die ersten Stahlrohrmöbel. Sein Klubsessel "Wassily B 3“ gilt als eines der bedeutendsten Sitzmöbel der Designgeschichte. Das Urheberrecht für seine berühmten Freischwinger jedoch machte ihm ein gewisser Mart Stam abspenstig. In den Augen der heutigen Experten, etwa von Ausstellungskurator Mathias Remmele, bleibt Breuer nichtsdestotrotz der Vater der kubischen hinterbeinlosen Stühle. Diese werden heute mit dem Vermerk "Entwurf Marcel Breuer - Künstlerisches Urheberrecht Mart Stam“ vertrieben. Am Bauhaus lernte Breuer auch den Architekten Walter Gropius kennen, der zu seinem Mentor, ja zu einer Art Vaterfigur wurde und der seinem Schüler in den folgenden Jahren immer wieder unter die Arme greifen sollte.

Bevor Breuer 1937 in die USA emigrierte, entwarf er noch Möbel aus Aluminium und verformtem Schichtholz, mit denen er nachfolgende Designergenerationen inspirierte. In seiner neuen Heimat betätigte er sich dann nur noch als Architekt, wobei ihm die Tatsache, dass er als einzige formelle Ausbildung die Tischlergesellenprüfung vorweisen konnte, immer wieder Schwierigkeiten bereitete. Anfangs profilierte er sich mit Einfamilienhäusern, die modern und wohnlich zugleich waren. Mit dem Bau der UNESCO-Zentrale in Paris (1958) stieg er in die Liga der internationalen Stararchitekten auf, sein bekanntestes Gebäude ist das Whitney Museum of American Art (1966) in New York. Breuer entwarf auch zahlreiche Sakralbauten, von denen einige in der Wiener Ausstellung in Form von Modellen vertreten sind.

An den Sakralbauten ist auch zu erkennen, dass Breuer das Prinzip des Freischwingers immer wieder auf seine Architektur übertragen hat. Die Emporen in der St. John’s Abbey in Collegeville, Minnesota (1961) oder der St. Francis de Sales Parish Church in Muskegon, Michigan (1966) sind nichts anderes als riesige Freischwinger aus Beton. Auskragungen waren eine Spezialität Breuers, zum Beispiel beim Hotel im Wintersportzentrum Flaine, Frankreich (1976), das spektakulär über einen steilen Felsabhang ragt. Bei der Firmenzentrale der Armstrong Rubber Company, West Haven, Virginia (1970) scheinen die vier Geschoße mit den Managementbüros geradezu über der Forschungs- und Entwicklungsabteilung zu schweben.

Kritik an Großbauten

Breuers Bedeutung als Designer ist ungebrochen, seine Architektur hingegen ist heute diskreditiert. Seinen Gebäuden fehle die revolutionäre Geste, wie Arnt Cobbers in seinem im Taschen-Verlag erschienenen Breuer-Buch festhält. Während die aus unterschiedlichen Materialien bestehenden Einfamilienhäuser eine zeitlose Schönheit ausstrahlen, huldigte Breuer in seinen Großbauten der 1950er- und 1960er-Jahre einem Material, das im Zuge der Postmoderne in Misskredit geraten ist: Sichtbeton. Großbauten wie jene von Breuer werden heute gerne als "kalt“ und "menschenfeindlich“ bezeichnet. Vielleicht trägt die Ausstellung im Hofmobiliendepot dazu bei, die durchaus vorhandenen Qualitäten dieser Architektur wiederzuentdecken.

Marcel Breuer

Design und Architektur

Hofmobiliendepot

Andreasgasse 7, 1070 Wien

bis 3. Juli, Di-So 10-18 Uhr

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