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"Das Verbrechen" versammelt erstmals alle Erzählungen Mela Hartwigs: literarische Fallstudien über Frauen.

Mela Hartwig (1893- 1967) seziert in ihrer Novelle "Das Verbrechen" das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Psychiater Dr. Emil Zuba und seiner Tochter Agnes, die er als Fall bearbeitet. Der Kampf der Tochter um die Befreiung aus der Liebesbeziehung mit dem Vater gelingt nicht, masochistische Selbsterniedrigung und Hysterie bieten keinen Ausweg. Schließlich führt sie mit dem väterlichen Revolver als Befreiungsakt den Vatermord aus. Am Ende bleibt ambivalent, worin das Verbrechen besteht. Denn Mela Hartwigs Anklage richtet sich gegen die Macht und Herrschaft des Psychoanalytikers, der die Tochter zerstört und vernichtet. Damit reiht sich diese Novelle in ihre literarische Kritik an der Freudschen Psychoanalyse ein.

Verehrer und Kritiker

Hartwigs Inhalte, vor allem das Thema der weiblichen Sexualität, und die vom Expressionismus geprägte metaphernreiche Bildsprache entzweien noch heute die Leser und Leserinnen in begeisterte Verehrer - unter ihnen Alfred Döblin und Stefan Zweig - oder ablehnende Kritiker einer zu unrecht vergessenen österreichischen Schriftstellerin, deren erste literarische Erfolge durch Faschismus und Exil jäh beendet wurden.

"Das Verbrechen" eröffnet 1928 Mela Hartwigs erste Publikation "Ekstasen" im Wiener Zsolnay Verlag und als Titelerzählung den neuen Band, der erstmals alle Erzählungen Mela Hartwigs vereint und mit dem der Literaturverlag Droschl ihre Werkausgabe fortsetzt. Auch die übrigen Erzählungen der "Ekstasen" sind literarische Fallstudien über Frauen, die eine Grenzziehung zwischen Wahn und Vernunft, Phantasie und Wirklichkeit obsolet erscheinen lassen. Dabei scheut sich Hartwig nicht vor einer ekstatischen Sinnlichkeit und rückt den weiblichen Körper ins Zentrum. Die Studentin in "Der phantastische Paragraph" erlebt eine eingebildete Schwangerschaft und wird für eine Abtreibung vom Gesetz bestraft, die nie stattgefunden hat, die Krankenschwester in den "Aufzeichnungen einer Hässlichen" lässt sich nach einem Selbstmordversuch in die Irrenabteilung versetzen und stellt die Trennung von normal und abnormal in Frage, die Protagonistin in "Das Kind" wehrt sich zunächst gegen die Mutterschaft.

Radikal und ironisch wie wenige Schriftstellerinnen der Zwischenkriegszeit setzt sich Mela Hartwig mit zeitgenössischen Weiblichkeitsbildern auseinander, die sich die Grenzgängerinnen anzueignen versuchen und die sie dabei als bloße Bilder demaskieren. Nicht durch Ablehnung, sondern durch Anpassung und Übersteigerung werden weibliche Rollen hinterfragt. Am eindrucksvollsten zeigt die Autorin dies in ihrem 1929 erschienenen Roman "Das Weib ist ein Nichts", in dem Bibiane vier unterschiedliche Karrieren jeweils mit verschiedenen Männern durchläuft - russische Agentin, Musikerin, Geschäftsfrau und Sozialistin - und am Ende verstümmelt aufgefunden wird.

Ebenso präzise durchleuchtet Mela Hartwig die soziale Realität und den zunehmenden Antisemitismus der Zwischenkriegszeit. Ihre kurzen Erzählungen "Die Kündigung" und "Der Meineid" über einen Buchhalter, der seiner Kündigung durch Selbstmord zuvorkommt, und einen arbeitslosen Mechaniker sind ebenso mitleidslose Milieustudien wie ihr Roman "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" (2001), in dem sie den weiblichen Alltag der Stenotypistin Aloisia Schmidt beschreibt, deren intellektuelle Fähigkeiten ebenso durchschnittlich sind wie ihre körperlichen Vorzüge und deren Träume und erotischen Obsessionen in Kränkungen enden.

Realität durchleuchtet

Dieser Roman konnte ebenso wie ihre Novelle "Das Wunder von Ulm", die sie selbst als Warnung vor dem Antisemitismus sah, nicht mehr im Zsolnay Verlag erscheinen. Am historischen Beispiel zeichnet sie darin die Mechanismen von Pogromen nach, die "jüdische Hexe" entgeht nur knapp dem Tod am Scheiterhaufen. Ihre "Streitschrift" erschien 1936 in einem Pariser Exilverlag, sie selbst muss 1938 mit ihrem Mann, dem Rechtsanwalt Robert Spira, Österreich in Richtung London verlassen. Lange Jahre blieben Bemühungen um ihr Werk erfolglos, heute können wir uns wieder durch ihre Werke - wie Margit Schreiner im Vorwort zu den Erzählungen schreibt - beunruhigen lassen: "Etwas an Mela Hartwigs Erzählungen lässt mich nicht los. Ich spüre, das trifft ins Mark, ganz unmittelbar."

Das Verbrechen

Novellen und Erzählungen

von Mela Hartwig

Mit einem Vorwort von Margit Schreiner

Literaturverlag Droschl, Graz 2004

304 Seiten, geb., e 19,-

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