Bücher - © Foto: Pixabay

Selbstbehauptung und Überleben

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Gegen das Vergessen legen kleine Verlage Literatur österreichischer Schriftstellerinnen wieder auf.

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Gegen das Vergessen legen kleine Verlage Literatur österreichischer Schriftstellerinnen wieder auf.

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Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für Frauen eine Aufbruchszeit. Der Kampf um Emanzipation zeigte erste Erfolge, die Frauen erhielten das Wahlrecht, viele Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten standen ihnen offen. Schriftstellerinnen wie Vicki Baum und Gina Kaus sind internationale Bestsellerautorinnen, auch Annemarie Selinko, deren Roman „Désirée“ in 25 Sprachen übersetzt wurde, und Joe Lederer, die als „deutsche Colette“ gefeiert wurde, zählen zu ihnen.

Doch der Nationalsozialismus und der Krieg beendeten viele ihrer Karrieren. Die Frauen mussten ins Exil gehen, wurden in Konzentrationslagern ermordet, zogen sich zurück. In den 1970er-Jahren wurden einige von ihnen im Rahmen der Frauenliteraturgeschichtsforschung entdeckt, wie etwa von Hertha Pauli und Adrienne Thomas, heute sind ihre Werke schon wieder vom Buchmarkt verschwunden oder werden abermals wiederentdeckt wie Else Feldmann, Lili Grün, Else Jerusalem oder Lina Loos. In den Kanon der Literaturgeschichte haben sie es nicht geschafft.

Umso verdienstvoller ist es, dass vor allem kleinere Verlage Neuauflagen, ja sogar Erstveröffentlichungen wagen. Und es ist kein Zufall, dass in gleich drei jüngst erschienenen Romanen die Nachworte von Evelyne Polt-Heinzl verfasst wurden, die sich seit vielen Jahren um eine Erweiterung des österreichischen Literaturkanons bemüht. Die Lektüre von vier gerade neu aufgelegten Büchern von Autorinnen, die alle die Zeit des Nationalsozialismus im Exil überlebten, lohnt sich und beweist, dass eine Revision des Kanons fällig ist.

Als bereits viertes Buch von Mela Hartwig erschien die Erstausgabe des Romans „Inferno“ im Literaturverlag Droschl. Geschrieben wurde er zwischen 1946 und 1948 im englischen Exil, in das Hartwig 1938 mit ihrem Mann Robert Spira fliehen konnte. Für Gisela von Wysocki ist Hartwig „eine große Autorin der Moderne“, „eine Pionierin im Beschreiben weiblicher Gefühlswelten“.

Im Roman „Inferno“ erzählt Hartwig von der 18-jährigen Ursula, die nach der Matura Malerei studieren möchte und sehr schnell lernen muss, dass im Jahr 1938 die Massen auf den Straßen außer sich geraten und sich an den Worten eines Mannes berauschen, von dem sie Wunder erwarten. Sie erlebt den Brand des Tempels und erste Pogrome. „Wir sind ein Volk, das zum Amokläufer geworden ist“, erklärt ihr Freund, der im Widerstand kämpft.

Aber nicht nur auf der Straße ist die Hölle, sondern auch die Wände haben Augen und Ohren, zumal in der Wohnung der eigenen Familie. Der Bruder zählt zu den ersten überzeugten Nazis, vor dem sich die Eltern und Ursula fortan in Acht nehmen müssen. Die Mutter flüchtet immer wieder für Wochen und Monate in Krankheiten, auch als schließlich der Brief kommt, der den Tod des Sohnes „auf dem Felde der Ehre“ übermittelt. Wie ihr Freund entschließt sich Ursula, im Widerstand zu arbeiten, scheitert aber an den psychischen Anforderungen, reagiert hysterisch, hat Angst. Der Geliebte verschwindet nach einem von ihm verübten Sabotageakt in einer Munitionsfabrik. Ursula weiß, was das Kriegsende für alle Mitschuldigen bedeutet, ihr erstes Gemälde wird „INFERNO“ heißen. Mela Hartwig gelingt es, in expressiven Bildern die körperlichen und psychischen Abgründe zu beschreiben. Sie inspiziert „das innere Erleben des äußeren Schreckens“, schreibt Vojin Saša Vukadinović in seinem Nachwort.

Großartiger Exilroman

Friederike Manners autobiografischer Roman „Die dunklen Jahre“ erschien erstmals 1948 unter dem Pseudonym Martha Florian. Die Geschichte von Klara und Ernst und ihren beiden Kindern ist die literarische Gestaltung ihrer eigenen Lebensgeschichte von Februar 1934 bis Silvester 1945. Friederike Manner ist mit dem jüdischen Arzt Hans Brauchbar verheiratet, will sich von ihm scheiden lassen, als 1938 die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert. Die politisch hellsichtige „arische“ Friederike Manner fühlt sich verpflichtet, ihren Mann zu schützen, schickt zunächst die beiden Kinder in die Schweiz, während der Ehemann nach Belgrad flüchtet. Nach einigen Monaten folgt sie ihm mit ihren Kindern ins Exil. Hans Brauchbar wurde 1941 im Lager Schabatz/Šabac erschossen. Gemeinsam mit ihren Kindern überlebt Friederike Manner bis 1944 in Belgrad, obwohl ihre Situation als deutschsprachige Emigrantin prekär ist. Gerade noch rechtzeitig lässt sie sich nach Wien evakuieren.

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