Frauen? Vergessen
FOKUSAus dem Licht gestoßen: das Fehlen der Frauen in der Literaturgeschichte
Am Anfang der Literatur steht eine Frau. Frauen haben geschrieben, wurden gelesen, waren anerkannt. Es wird Zeit, das endlich auch zu erzählen.
Am Anfang der Literatur steht eine Frau. Frauen haben geschrieben, wurden gelesen, waren anerkannt. Es wird Zeit, das endlich auch zu erzählen.
Literaturgeschichtsschreibung, so möchte man meinen, ist an und für sich nicht sonderlich komplex. Man versucht festzustellen, welche Autorinnen und Autoren es gegeben hat, welche Texte sie geschrieben haben, welche man für bedeutend hielt und hält, welche Strömungen und Epochen sich ausmachen lassen. Und wo sollte man da beginnen, wenn nicht am Anfang?
Doch der Anfang fehlt. Denn am Anfang der Literatur steht eine Frau. Die ersten jemals überlieferten literarischen Texte, die man einer konkreten Person zuordnen kann, stammen von der sumerischen Hohepriesterin En-hedu-anna, die ihre Texte vor mehr als 4000 Jahren in Mesopotamien verfasste. Sie fehlt in Literatur- und Kulturgeschichten, sie zu kennen, ist Spezialwissen. Im kollektiven Gedächtnis wird ihr gerade einmal eine Komparsinnenrolle zugestanden.
Es ist an Absurdität eigentlich nicht zu überbieten, doch die Wahrscheinlichkeit, dass man ein gesamtes Literaturstudium absolviert, ohne diesen Namen jemals zu hören oder mit der Tatsache konfrontiert zu werden, dass der erste überlieferte literarische Text einer namentlich identifizierten Person von einer Frau stammt, ist groß. Dabei sind ihre Texte nicht nur literaturhistorisch von Interesse, weil es eben die ersten waren, sie lesen sich auch atemberaubend.
Parallelwelt der Autorinnen
Informiert man sich heute über En-hedu-anna, tut sich das Gefühl einer Parallelwelt auf. Sie sei die Urahnin aller Autorinnen, ist da zu lesen, sie stehe am Anfang der weiblichen Literatur, sie sei die „bedeutendste Frauengestalt ihres Jahrtausends“, verkündet etwa Wikipedia. Wieso ist sie nicht die Urahnin aller Autorinnen und Autoren? Wieso sollte sie nur für die weibliche Literatur relevant sein? Und wieso um alles in der Welt lernt nicht jedes Kind schon in der Schule ihren Namen?
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!