Werbung
Werbung
Werbung

Der neue Audioweg "Gusen - Das unsichtbare Lager" ruft die Erinnerung an ein Konzentrationslager wach, das fast vergessen wurde.

Wo er als Zwölfjähriger mit dem Luftdruckgewehr Schießen übte, haben früher SS-Offiziere geschossen, erzählt einer. Im Dorfteich hat man nicht mehr baden dürfen, denn dort sind so viele Juden ertränkt worden, berichtet ein anderer. "Überall liegt Blut." Stimmen von Anwohnern, die sich an das KZ und an den Umgang mit der Vergangenheit erinnern. In der Gegend, in der während der NS-Diktatur die Konzentrationslager Gusen I und II waren, stehen beschauliche Wohnhäuser. Bis auf das Memorial der italienischen Architektengruppe B.B.P.R, erbaut in den sechziger Jahren, und ein erst 2004 eröffnetes Besucherzentrum erinnert nichts Sichtbares mehr an die Zehntausenden, die in den Lagern zu Tode kamen. Die noch existierenden ehemaligen Lagergebäude werden von Unternehmen oder privat genutzt. Gusen ist wohl das einzige Konzentrationslager dieser Größenordnung, das nicht zu einer Gedenkstätte geworden ist.

Der in St. Georgen an der Gusen aufgewachsene Künstler Christoph Mayer hat dem Grauen, das in den Köpfen der Menschen begraben ist, nachgehört. Er hat Interviews geführt, Stimmen und Klänge aufgenommen, Fragen gestellt. Mit dem Audioweg Gusen macht er aus dem unsichtbaren Lager eine begehbare Skulptur: Eine etwa 90-minütige Collage aus Geräuschen und Aussagen lässt die Erinnerung wieder erwachen. Wer den Audioweg geht, wird mittels Kopfhörer durch den Ort geführt, hört Kommentare von Anwohnern, Häftlingen, SS-Angehörigen, Soldaten. Die Diskrepanz zwischen dem Gehörtem und der ruhigen Wohngegend, durch die der Besucher geht, ist eindrücklich.

Man hat versucht, zu vergessen, dass hier ein Konzentrationslager war. Schuldgefühle? Stolz auf die Messerschmitt-Flugzeuge, die hier gebaut wurden. Ein Unbehagen bei der Frage, warum man denn hier nicht ganz normal leben dürfe. Nachdenklichkeit: "Ich muss daraus etwas für mich machen", sagt eine Anwohnerin. Ein anderer: "Der Ort St. Georgen hat keinen Menschen geschunden oder vergast. Es gab dort Menschen, die das gemacht haben."

Eine alte Frau erinnert sich an Dialoge mit ihrer Mutter. "Na, heut stinkt's wieder, vom Krematorium." Man wusste, was dort passiert. Doch es hieß, das seien keine Menschen, und man konnte ja nicht alle behalten - also ins Krematorium damit.

Der Audioweg versteht sich nicht als Mahnmal im eigentlichen Sinn, nicht als historisch-wissenschaftliches, sondern als Kunstprojekt. Hier geschieht eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Realitäten, mit der irreal erscheinenden Welt der NS-Diktatur, dem Vergessenwollen, dem Erinnernmüssen. In Gusen passierte Vernichtung durch Arbeit, systematisch, durch Ertränken, Totbaden, Erfrieren, Erschlagen. Gleichzeitig gab es außerhalb und rund um das Lager eine Normalität, zu der Tanz, Ausflüge und kleine Alltagssorgen gehörten. Die Normalität ließ das Morden zu, die Verbrechen wurden von ganz normalen Menschen begangen. "Das Entsetzen, das Mensch zu Mensch zueinander so sein kann - das hat sich mit der Zeit gelegt. Wir sind dann relativ cool geworden. Wir haben das ja nicht alles ins Herz hereinnehmen können. Da wären wir ja draufgegangen", erzählt eine Anwohnerin.

Gusen gilt als Nebenlager von Mauthausen. Im Bewusstsein der Österreicher und in der wissenschaftlichen Gedenkkultur ist das dreiteilige Lager kaum vorhanden. Tatsächlich ist es aber sowohl der Größe als auch den Opferzahlen nach mit Mauthausen mindestens vergleichbar. Das Lager existierte von 1940-1945 in den Gemeindegebieten von Langenstein, St. Georgen an der Gusen, Luftenberg und Katsdorf (Bezirk Perg, Oberösterreich). Gusen I und Gusen II galten als "Lager ohne Wiederkehr". Fast ein Viertel der rund 120.000 auf heutigem Staatsgebiet zu Tode gekommenen KZ-Opfer starben hier. Das waren vor allem politische Gegner des NS-Regimes aus ganz Europa, in den letzten beiden Kriegsjahren auch viele aus anderen Konzentrationslagern wie von Auschwitz deportierte Juden, darunter viele Kinder.

http:// www.zeit.de/online/2007/19/

audioweg-kz-gusen

http://audioweg.gusen.org/

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung