Der Blues der dunklen Phantasien

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Wiener Festwochen II: Luc Bondy inszeniert Jean Genets "Die Zofen" im Theater Akzent.

Jean Genet (1910-1986) war womöglich der letzte Poète maudit ("verfemter Dichter"; Anm.). Als Verbrecher stilisierte er sich Zeit seines Lebens zum Außenseiter der Gesellschaft. Er begriff die verbrecherische Tat als Akt der Befreiung, als radikale Manifestation des Selbst-Seins an Stelle des Seins-für-andere. "J'ai décidé d'être ce que le crime a fait de moi" hat er einmal von sich gesagt. Er wollte sein, was er war, und das hieß: das Böse tun, weil er böse ist. Die Abweichung war ihm bewusstes Heraustreten aus den Normen der Gesellschaft, um ein Selbst zu bleiben. Gerade die Lüge des Seins, das Falsche, der Schein interessierten ihn auch am Theater. In den 1947 entstandenen "Zofen" nahm er sich dieses Themas an.

Der Intendant der Wiener Festwochen hat mit seiner Inszenierung etwas sehr Schwieriges gewagt und das Stück dabei ziemlich gegen den Strich gelesen. Luc Bondy interessiert sich nämlich weniger für das Thema von Wahrheit und Verstellung oder für die komplizierte Dialektik von Machtausübung und Erniedrigung als vielmehr für die dunkle Seite der menschlichen Seele, die er in diesem Stück dargestellt sieht. Nicht zu unrecht wurden die "Zofen" einmal als Monolog für drei Stimmen beschrieben.

Das Stück erzählt vom alltäglichen Ritual der zwei Dienstmädchen Claire (Caroline Peters) und Solange (Sophie Rois). In Abwesenheit der "Gnädigen Frau" (Edith Clever) plündern sie deren Garderobe, um in einem makabren Rollenspiel die Wirklichkeit von Unterwerfung und Hörigkeit mit immer wechselnden Parts nachzuspielen. Nachdem die Denunziation des Liebhabers von Madame aufzufliegen droht, planen sie einen Mordanschlag auf die Herrin, der letztendlich misslingt und eine von ihnen das Leben kostet.

Für Luc Bondys Inszenierung (eine Koproduktion mit der Volksbühne Berlin) hat Bert Neumann (Frank Castorfs Sperrholzvirtuose) ein hyperrealistisches Interieur gebaut, ein ganz in braunsamtenen Farbtönen gehaltenes Kellerloft, in das sorgsam einige Brüche eingelassen sind, die in der Regie von Bondy eine (etwas zu zaghafte) Entsprechung finden.

Was sich hier abspielt, weist diesen Ort nicht als reale unterirdische Welt des Gemeinen aus, als höhlenartige Zufluchtsstätte, wo die bürgerliche Gesellschaft und ihre Moral außer Kraft gesetzt werden, sondern Bondy meint hier einen psychischen Raum. Wir sehen eine Art Traumspiel, und was wir hören und sehen sind Töne und Bilder aus dem Innern eines Menschen. Das Spiel der Zofen ist weniger ein Akt des Bösen, als vielmehr ein schwermütiges Spiel mit dunklen Phantasien, dem Fremden, Anderen in uns. Eine geträumte Überschreitung eines in Konventionen eingesperrten Menschen.

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