Der Imperativ der Gegenwart: Sei kreativ!

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Mit dem Schlagwort "kreativ" warben früher nur Häkelmagazine für Basteltipps. Wer aber in der digitalen Welt erfolgreich sein will, der ist dem Imperativ der Gegenwart erlegen: Sei kreativ! Das Wort laufe Gefahr, meint Kunstprofessorin Marion von Osten, als neues Unwort die Nachfolge der Ich-AG anzutreten und zum Zwilling des paradoxen "Sei spontan!" zu werden.

In seinem 2002 erschienenen Buch "The Rise of the Creative Class" prophezeite Richard Florida den unaufhaltsamen Aufstieg der kreativen Klasse. Die Thesen des US-Ökonomen lösten eine internationale Diskussion aus, mit Verzögerung feiert Europa 2009 das "Jahr der Kreativität und Innovation" und die EU kündigt gleich "die Förderung der Kreativität für alle" an.

Das Ö1-Symposium "Creative Cities" im Radiokulturhaus überprüfte am Dienstag die "Versprechen der kreativen Ökonomie". Das zahlreiche Publikum an einem Wochentag zeigte, dass das Thema bewegt, während die Referate der Experten bewiesen, dass der Begriff Kreativwirtschaft kaum zu fassen ist.

Zehn Prozent der Bevölkerung Londons sollen bereits in kreativen Berufen tätig sein. Doch die Zahl trügt, warnte Richard Barbrook von der University of Westminster. Die britische Regierung ist in ihrer Einteilung großzügig und zählt den Antiquitätenhandel und die darstellenden Künste auch zur Kreativwirtschaft.

Mit Schwindel zum Hotspot

Wer in London etwa als Wachmann bei einer Filmproduktion arbeitet, übt offiziell einen kreativen Beruf aus. Holland teile rigoroser ein, berichtete Medientheoretiker Geert Lovink. Dort werde strikt zwischen Kreativwirtschaft und Kultur unterschieden. Dennoch versuchen sich die Metropolen als kreative Hotspots zu verkaufen. Rotterdam habe sich zur Hauptstadt der holländischen Kreativen geschwindelt, denn im Gegensatz zu Amsterdam zählt Rotterdam auch seine Friseure zur Kreativwirtschaft.

Das Prekariat droht

Kreativ ist das neue Branding, mit dem Städte für sich werben. Dabei weiß niemand genau, was unter Kreativwirtschaft zu verstehen ist. In der "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno wird noch die Kulturindustrie kritisiert. Erst während der Blair-Ära wurde "creative" zum hippen Platzhalter, schilderte Richard Barbrook. Die "Creative Industries" waren geboren, und plötzlich wollten alle kreativ sein, die Werber, Grafiker, New Media Designer, Wachleute und in Rotterdam eben auch Friseure.

Die Probleme aber sind überall gleich. Sich für einen dieser Beruf entschieden zu haben, heißt zwar unabhängig und zeitlich nach eigenen Vorstellungen arbeiten zu können. Es bedeutet aber auch unsichere Anstellungsformen und unregelmäßiges Einkommen: Das Prekariat droht. "Der Preis der Freiheit heißt Unsicherheit", nannte es Richard Barbrook.

Ein belastendes Wort

In Wien unterhält der Wirtschaftsförderungsfonds der Stadt den Unterstützer "departure". Innovation sei dabei stets Voraussetzung für eine mögliche Förderung, sagte Geschäftsführer Christoph Thun-Hohenstein, der den "fun factor" der heutigen Arbeitswelt stärken möchte. Wer aber tatsächlich einen kreativen Beruf ausübt, das konnte auch das Ö1-Symposium nicht klären.

Und so blieb bei den Referenten im Radiokulturhaus die Grenze zwischen Kreativität und Kultur verschwommen. "Kreativwirtschaft ist ein belastendes Wort", meinte Labelbetreiber Walter Gröbchen. Dem einzigen Praktiker des Nachmittags bleibe gar nichts anderes als ein pragmatischer Zugang über: "Ich muss davon leben."

"Ist die Ökonomie der wichtigste Teil der Kreativität einer Stadt?", fragte sich die Politologin Monika Mokre. Steigen die Förderungen für die Kreativwirtschaft, dann sinke längerfristig die Unterstützung für kleinere Kulturinitiativen. Denn der "fun factor" hört dort auf, wo Leute von prekären Arbeitsbedingungen bedroht sind. Das gilt insbesondere auch für Kreative.

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