Der Zwang zur Kreativität

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Europa feiert 2009 als das „Jahr der Kreativität und Innovation“. Doch eine akademische Diskussion hilft der Kreativwirtschaft nicht durch die Krise. In der digitalen Welt wurde das Paradoxon „Sei spontan“ durch „Sei kreativ“ abgelöst. Aber das Honorar für Kreativität zu erhalten, ist schwierig.

Die Europäische Union will „ihre Bevölkerung für die vielfältige Bedeutung dieser Begriffe sensibilisieren“. Die österreichische Regierung begrüße diese Initiative, und Bundesministerin Claudia Schmied wirbt: „In jedem von uns steckt ein kleiner Mozart, hat Antoine de Saint-Exupéry einmal gesagt. Nützen wir gemeinsam das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation 2009 für die Bildung, die Kunst und die Kultur!“ Dass der fünfjährige Mozart musikalisch talentierter war als alle Erwachsenen, hat Saint-Exupéry übersehen, und mit ihrem Querverweis in die Kultur reißt Schmied das eigentliche Problem bereits an: Die vielfältige Bedeutung des Begriffs Kreativität lässt jede Diskussion schnell ins Uferlose entgleiten. Der eigentlichen Kreativwirtschaft hilft das aber nichts.

Richard Florida prophezeite 2002 in seinem Buch „The Rise of the Creative Class“ den Aufstieg der Kreativwirtschaft, die den ökonomischen Erfolg der Großstädte künftig sichern wird. Die EU hat den US-Ökonomen daher auch zum „Botschafter der Kreativität und Innovation“ ernannt. Doch Florida zählt auch Künstler, Entertainer, Musiker und Autoren zur Kreativwirtschaft. Eine Einteilung, der in Österreich nicht gefolgt wird, Kunstschaffende und -vereine werden der Kultur zugeschrieben.

Kreativität versus Kultur

Generell ist der Begriff der Kreativwirtschaft kaum zu fassen und sorgt für seltsame Definitionen. In Holland wird zwar ebenfalls strikt zwischen Kreativwirtschaft und Kultur unterschieden. Doch liefern sich Amsterdam und Rotterdam einen Wettstreit, wer nun die kreative Zentrale der Niederlande sei. Rotterdam liegt in Führung, seit die Stadt auch ihre Friseure als Kreative wertet. Währenddessen Amsterdam sich zwar als kreativen Hotspot bewirbt, können sich dort die meisten Kreativen die hohen Mieten längst nicht mehr leisten. Jetzt will die Stadt Büros zur Verfügung stellen, denn das Label „kreativ“ will sie auf keinen Fall verlieren.

Eigentlich geht der Begriff auf „Die Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zurück und wird dort als „Kulturindustrie“ kritisiert. Doch während der Blair-Ära wurde in England Kultur durch Kreativität ersetzt, und eine neue Industrie war geboren. Dabei ist die Vorstellung einer kreativen, selbstbestimmten Arbeit tatsächlich reizvoll. Statt fremdbestimmter Lohnarbeit winkt Selbstverwirklichung. Doch der Alltag sieht anders aus: Das durchschnittliche Einkommen ist gering, Interessensvertretungen fehlen und der steuerliche Druck ist hoch. Es droht ein neues, intellektuelles Proletariat. Denn „der Preis der Freiheit heißt Unsicherheit“, wie der Politologe Richard Barbrook von der University of Westminster meint.

Start in die kreative Selbstständigkeit

In Wien soll es rund 18.000 Unternehmen in der Kreativwirtschaft geben, die mehr als 100.000 Menschen beschäftigen. Dabei sind die Probleme der Unternehmensgründer kaum in der kreativen Arbeit zu suchen, sondern in den Hürden der Bürokratie. Die Steuerreform 2009 soll jetzt die vielen Selbstständigen und Kleinverdiener entlasten. Die Grenze, ab der erstmals Einkommenssteuerpflicht besteht, wird dabei von 10.000 auf 11.000 Euro angehoben. Danach beträgt die Einkommenssteuer bis zu einem Jahresverdienst von 25.000 Euro immer noch 36,5 Prozent, was Kritik am hohen Eingangssteuersatz auslöst.

Um den Start in die kreative Selbstständigkeit zu erleichtern, hat der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds das Unternehmen „departure“ gegründet. Departure richte sich an alle Kreativen, „denen wirtschaftliches Denken und Handeln“ nicht fremd sei und unterstützt Unternehmensgründer in den Bereichen Mode, Musik, Audiovision, Multimedia, Design, Verlagswesen, Kunstmarkt und Architektur. Voraussetzung für eine mögliche Förderung sei dabei die Innovationskraft eines Projekts.

„Innovation ist als Neuigkeitsfaktor zu verstehen, der sich in der Produktidee oder Dienstleistung, gegebenenfalls auch in der Marketing- oder Vertriebsstrategie, die Antragsgegenstand ist, darstellt. Der Innovationsgrad ist jeweils durch die Fachjury zu prüfen. Gepaart mit wirtschaftlicher Nachhaltigkeit ist der Innovationsgrad ausschlaggebend für eine Förderwürdigkeit“, definiert departure-Pressesprecherin Dorothea Köb. Dabei werden auch außergewöhnliche Projekte gefördert. Der musicshop-vienna wird, unterstützt von departure, an einer neuen Gussform für Klarinetten-Mundstücke arbeiten, um auch in Zukunft den typischen „Wiener Klang“ der Orchester zu erhalten. 213 Unternehmen wurden seit 2004 mit 15 Millionen Euro gefördert, seit der Finanzkrise sei eine deutliche Zunahme der Anträge zu verzeichnen.

Förderungen schaffen lediglich neue Konkurrenz für eine Branche, die ohnehin schon gegen Dumpingpreise und Gratispräsentationen zu kämpfen habe, befürchtet der Grafiker Markus Oswald und wehrt sich gegen „die Ausbeutung der Kreativität“. In den vergangenen Jahren habe sich die Unart der Gratis-Präsentation von Ideen und Konzepten breit gemacht: „Für manche Unternehmen ist es anscheinend ganz normal, Ideen erst mal gratis präsentiert zu bekommen, andere gehen dann so weit und lassen sich die präsentierten Ideen woanders und billiger umsetzen, ohne ein Copyright dafür zu bezahlen.“

Dumpingpreise und Gratispräsentation

Ein Problem, das auch die Wiener Wirtschaftskammer erkannt und deshalb die Initiative „gegen-gratis.at“ lanciert hat. Die „Regel Nummer eins“ soll demnach fortan lauten: „Präsentationen ausschließlich gegen Honorar“. Dabei sind selbst die Unterstützer skeptisch, dass eine freiwillige Initiative in einem freien Markt viel bewirken kann. „Solange es Agenturen gibt, die sich darauf einlassen, eine Leistung gratis abzuliefern, wird der Markt diese Möglichkeit freudig annehmen“, kommentiert Paul Schauer von Media Austria die Aktion.

Die Ökonomie ist nicht der wichtigste Teil der Kreativität einer Stadt, und steigen die Förderungen für die Kreativwirtschaft, dann droht die Gefahr, dass die Unterstützung für kleine Kulturinitiativen sinkt. Wer in der digitalen Welt heute erfolgreich sein will, der ist aber dem Zwang zur Kreativität erlegen. Das Paradoxon „Sei spontan“ wurde von „Sei kreativ“ abgelöst. Das Wort läuft daher langsam Gefahr, als neues Unwort die Nachfolge der „notleidenden Banken“ anzutreten.

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