Der Sehnsuchtsort an der Adria

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Für die Menschen der K.u.k.-Monarchie war Abbazia der Sehnsuchtsort schlechthin - ein Seebad, das zum Symbol für die elitäre Welt des Müßigganges werden sollte. In einem tiefgehend recherchierten Buch zeigt sich die Perle der Adria von ihren Licht- und Schattenseiten.

"Abbazia ist nichts für Herdenmenschen! Es ist ein vornehm stiller Kurort, ein zur Wirklichkeit gewordenes süßes Märchen, das seine eigens dafür gestimmten Gemüther verlangt“, schrieb 1897 die Reisejournalistin Flora Horn aus Sachsen über Abbazia. Sie fand hier wohlhabende, distinguierte Menschen in gepflegter Umgebung, eingebettet in die lichtdurchflutete Welt der Adriaküste.

Aus einem unbedeutenden Fischerort hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts im Golf von Fiume, dem heutigen Rijeka, ein mondäner Kurort entwickelt, der zum Treffpunkt der Eleganz und zu einer Alternative zu Nizza und Cannes werden sollte. Zwischen kaisergelben Hotelpalästen und Villen zeigten gut gekleidete Individualisten aus Wien, Budapest und Prag ihren Stil.

Es ist ein Verdienst des Autors, die heile Welt an der Adriaküste der gesellschaftlichen Situation in Österreich gegenüber zu stellen. Während Ende des 19. Jahrhunderts in Wien enorme Preiserhöhungen bei Brot und Fleisch die Arbeiter an den Rand der Existenz trieben, wurde an der Adria das Verdrängen des Unangenehmen, die Kunst des "dolce far niente“ gepflegt.

Abbazia und seine Menschen

Das Buch geht über die bloße Beschreibung eines Badeortes weit hinaus. Es liefert ein Bild der Zeit vor der Jahrhundertwende. Dafür sorgt umfangreiches Quellenmaterial. Die Fülle sorgfältig recherchierter Details rund um Prominente aus Politik, Medizin und Kultur erlaubt dem Leser einen Blick unter die Oberfläche bekannter Klischees.

Es waren die besonderen Persönlichkeiten, die dem Seebad zu seinem Glanz verhalfen: der steirische Dichter Peter Rosegger, der vor dem Kronprinzenpaar Rudolf und Stephanie las, oder der Arzt Theodor Billroth, der "seinem“ St. Gilgen fast untreu wurde und für Abbazia wirksam Reklame machte. Ein eigenes Kapitel widmet der Autor dem Reisenden, Abenteurer, Diplomaten, Anthropologen, Geheimagenten und Übersetzer Sir Francis Burton. Der unermüdlich Forschende und Lernende war vor der gefürchteten Bora aus Triest nach Abbazia geflüchtet und entpuppte sich im noch jungen Kurort als ein von der Gicht geplagter Grantscherben. Ein ignoranter Hotelmanager, schlampige und unfreundliche Kellner, geldgierige Kurärzte und eine schlechte Wasserversorgung verdarben dem Weltensammler und ehemaligen Wüstenwanderer die Laune. Nach einem mehr als dreimonatigen Kuraufenthalt im Hotel Stephanie, für den sie weniger bezahlten, als die Lebenshaltungskosten in London oder Paris betrugen, reisten die Burtons am 5. März 1888 aus Abbazia ab - standesgemäß in einem eigenen, luxuriös ausgestatteten Spezialwaggon. Burton hatte Abbazia in seinen Berichten für die "Vienna Weekly News“ hart kritisiert. Einige Anregungen wurden bereits kurz darauf in die Tat umgesetzt. Trotzdem dürfte seine unbarmherzige Kritik mehr mit seiner Grundhaltung zu tun gehabt haben als mit tatsächlichen Unzulänglichkeiten. Hatte er sich bei seiner Abreise noch über Regen in Strömen und eine durch Hochwasser verschmutzte, braune Adria beschwert, schrieb zur gleichen Zeit Dr. Theodor Billroth aus dem Hotel Stephanie in einem Brief an seine Tochter Martha: "Welch ein herrlicher Tag! Die Sonne strahlt auf das unbewegte Meer, die Luft ist lau, von Frühling duftend. Es hat sich hier alles vergrößert und verschönert, seit Ihr hier wart: neue Anlagen, viele neue Villen, Abbazia macht sich.“

Weitere Kapitel widmet der Autor der Tragödie am Karfreitag 1891, bei der Reichsgraf Arthur Kesselstatt und Anna Fries, geborene Gräfin Strachwitz, im stürmischen Meer ihr Leben lassen mussten, weiters den Aufenthalten von Anton Tschechow, Arthur Schnitzler, schnellen Automobilen, eleganten Motorbooten und mächtigen Schlachtschiffen.

Und Abbazia heute? Im kroatischen Opatija gibt es statt der ehemaligen Kaiser Franz-Josef-Jubiläums-Reichsstraße die Marschall-Tito-Straße. Die Welt von einst ist einem reizvollen Ort gewichen, der weiterhin eine Reise wert ist.

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