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Tristesse wird einkalkuliert

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Das große Hotel am Strand könnte überall stehen zwischen Beirut und den Küsten Portugals, ein vielstöckiger Betonklotz mit Appartements, die zu internationalen Preisen das bieten, was man internationalen Komfort nennt, auch internationalen Standard, und was es an derlei Bezeichnungen mehr gibt. Alles ist wie überall. Mancher hier faßt diese Feststellung als das größte aller Komplimente auf. Sie ist es nicht.

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Das große Hotel am Strand könnte überall stehen zwischen Beirut und den Küsten Portugals, ein vielstöckiger Betonklotz mit Appartements, die zu internationalen Preisen das bieten, was man internationalen Komfort nennt, auch internationalen Standard, und was es an derlei Bezeichnungen mehr gibt. Alles ist wie überall. Mancher hier faßt diese Feststellung als das größte aller Komplimente auf. Sie ist es nicht.

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Das einstmals große Hotel, das sich nun im Schratten des Betonklotzes duckt, wirkt rührend dagegen mit seinem Prunk von vorgestern, mit seinem angestaubten Plüsch, der sich bei näherem Zusehen als Ergebnis nicht allzuweit zurückliegender Renovierungen erweist; man könnte meinen, jenes Flair von Übrig-von-Gestern, all diese unauffälligen Details, die, zunächst unterschwellig wirkend, Assoziationen an k. u. k. Zeiten entstehen lassen und erst dann vom Bewußtsein als Provokateure dieser Assoziation erkannt und gestellt werden, seien zufällig übriggeblieben. Zufällig nicht abgekratzt,

weggemeißelt, übertüncht Zufällig liebevoll restauriert. Ganz zufällig, könnte man meinen, sei auch jene Seifenschale aus Porzellan stehengeblieben, die wir in unserem Zimmer gefunden haben, mit einer angeschlagenen Ecke und mit einer alten Darstellung des Badeortes Abbazia. Nicht Opatija. Abbazia. Die Firma, für die eine Aufschrift auf diesem Seifenschälchen Reklame machen sollte, existiert, da ausdrücklich als k. u. k. Hoflieferant ausgewiesen, sicher nicht mehr. Der Zufall hat die Seifenschale des k. u. k. Hoflieferanten in das Badezimmer eines einst renommierten und auch heute keineswegs zweitklassigen Hauses verschlagen. Die Monarchie ist versunken, die Konstellationen haben sich gewandelt, aber die Stadt, die heute Opatija heißt, läßt Abbazda mit lässiger, gut

gespielter Unabsicbtlichkeit hinter neuer Fassade hervorschimmern, wie zufällig hinter dem Vorhang, der offiziell verdecken soll, was weniger vergangen ist als gewünscht, was an die Zeit erinnert, in der diese Stadt noch Abbazia hieß. Reminiszenzen an die österreichisch-ungarische Monarchie werden in Opatija-Abbazia als fremdenverkehrsfördernd betrachtet und gehegt und gepflegt. Das ist eine Sache geschickten kaufmännischen Kalküls. Ideologisches steht dabei offensichtlich nicht im Weg.

Aber der alte Mann, den wir auf der Uferpromenade getroffen haben, war bestimmt nicht vom Fremdenverkehrsamt bezahlt. Er sagte: „Aus Wien kommen S'? Mein Gott! Ich hab' doch noch im Inf anterieregiment Nr. 92 gedient, im .Küstenländischen' — rosarote Aufschläge haben wir gehabt.“

Zerklüftete Uferfelsen. Von den Wellen unablässig bespülte, im Lauf der Jahre körnig gewordene Stufen, die zu kleinen idyllischen Badeplätzen an der Steilküste hinunterführen. Bäume und Sträucher, die ihre Wurzeln noch in die kleinste Ritze zwängen. Und das Meer. Rauh an manchen Tagen, grau, mit Schaumkronen, mehr an die Nordsee erinnernd als an die Adria. Und dann Wieder, über Nacht, unvermittelt, spiegelglatt und warm und unverschämt blau. Das alles rechts vom Weg.

Links davon: Stiegen. Wege, die vom Meer wegführen. Rechts und links von diesen Wegen Bäume, die stellenweise so ineinander verwachsen sind, daß man glaubt, durch grüne Röhren zu gehen.

Steinerne Mauern, mit alten, eisernen Gittertoren, die in den Angeln knarren, dahinter Villen. Zwischen dem Meer und den Gärten, Parks und alten Sommersitzen — die Uferpromenade. Dieser Weg, der sich an der Küste enMangschlängelt, etliche Kilometer lang, an manchen Stellen einen oder zwei Meter vom Wasser entfernt, dann wieder zehn oder zwanzig Meter darüber. Vom Corso, der sieh hier abspielte, haben schon unsere Großmütter geschwärmt. Hier hat sich kaum etwas geändert. Nur die beschädigten Steinplatten wurden ausgewechselt und das eiserne Geländer erneuert. Die Promenade ist eine der großen Attraktionen des alten Abbazia, jenes Kurortes, der vor rund 100 Jahren entdeckt wurde. Innerhalb von kurzer Zeit stieg es zum berühmtesten, mondänsten und teuersten Bad der Monarchie auf. Salonschlafwagen machten schon damals die Reise von Wien nach Abbazia zu einem Vergnügen, freilich nur für zahlungskräftige Leute. In den renommierten, großen Hotels traf man während der Saison die österreichische Aristokratie, das begüterte Bürgertum und alles, was dazugehören wollte und mithalten konnte. Aber 1918 kam Abbazia zu Italien, und die Gesellschaftsschicht. die es eroT eemaoht hatte, war teils verarmt, teils hatte sie andere Sorgen.

Der Ruhm von Abbazia ist verblaßt. Doch Opatija sucht Anschluß an den Massentouriismus. Ein Nobelbad kann und will man nicht mehr sein, aber auch kein Jesolo. Etwas in der Mitte. „Gutbürgerlich“ auf eine Art und Weise, die niemand besser zu schätzen weiß als der Genosse. Vor allem: alles andere als ein Reiseziel, das man nur im Sommer aufsucht. Natürlich läßt es sich toi Juli,

August in der geschützten Kvanner-bucht bestens baden. Doch im Herbst und im Winter entfaltet Abbazia Reize, von denen man in den Sonnentagen nichts ahnt. Theodor Billroth hat die wohltuende medizinische Wirkung des Klimas von Abbazia als erster erkannt. Es ist ein Klima, wie man es in so verhältnismäßig geringer Entfernung von Wien sonst nirgends findet. Sein wichtigstes Kennzeichen ist die Milde. Kühle Sommer, warme Winter. Das Gebirge, das sich hinter Abbazia-Opatija erhebt, hält alle rauhen Winde fem. Das warme Wasser der geschützten, durch zwei große Inseln von der Adria getrennten Bucht gleicht die Temperaturunterschiede aus. Selbst im Winter geht man in Abbazia ohne Mantel unter Palmen, Pinien, Zedern und Cypres-sen spazieren. Zwischen dichten Lorbeerbüschen hindurch, deren Geruch im Sommer die Gelsen fernhält. Und immer wieder Eichen, gewöhnliche Eichen, Korkeichen, Schwarzeichen. Die Vegetation des südlichen Mittelmeerraumes vermischt sich mit unserer mitteleuropäischen. Jetzt im Sommer tarnt sich Abbazia. Jetzt im Sommer muß man in Abbazia suchen, was typisch Abbazia ist. Täglich Tanz und Konzerte, Geselligkeit, Veranstaltungen. Tagsüber wenig Eleganz. Menschen, die sich erholen wollen. Wer erholt sich heute schon zwischen Sotschi und Teneriffa, zwischen Sylt und Sizilien' ohne jenen „legeren Stil“, der in solchem Kontrast zum liebevoll gepflegten Plüsch und Stuck im einstmals großen Hotel steht? Kein Zweifel, der Betonklotz paßt besser in diese Zeit. Doch der Kurpark ist gepflegt wie eh und je. Mit seinen sorgfältig beschrifteten exotischen Gewächsen. Und im Kasino bietet sich selbstverständlich Gelegenheit, umgeben von teuren Tapeten, unsozialistisch-würdigen Croupiers und auf Zimmerlautstärke zurückgedrehten Badegästen innerhalb von kurzer Zeit mehr Geld loszuwerden, als man etwa in der gleichen Zeit für noch so teure Menüs und Getränke ausgeben könnte. Die große Wertschätzung, die die Spielkasinos in bestimmten Kreisen finden, hat schon ihren guten Grund. Das Spiel ist die gesündeste und rationellste Methode, seinen Reichtum zur Schau zu stellen, indem man ihn vermindert. Man belastet dabei weder seinen Bauch noch seine Koffer. Und Leute, die wissen, was sich schickt, verschmähen es ja bekannt-

lieh, sich die Zigarre mit einem Geldschein anzuzünden. Diese Form der Schaustellung galt stets als unfein. Das Spiel im Kasino ist nur an zwei Bedingungen geknüpft: Man muß Ausländer sein und in ausländischer Währung bezahlen. Ausländische Währungen sind in Opatija-Abbazia überhaupt sehr gefragt Werden in jedem Laden angenommen. So gern, daß man dafür meist alles um zehn Prozent billiger bekommt, und zwar ganz offiziell. Dabei ist Abbazia-Opatija ohnehin alles andere als teuer. Viele erliegen dem Reiz dieses Ortes. Viele, die hier auf Kosten einer österreichischen, deutschen, ja schwedischen Krankenkasse gesund geworden sind, kehren als Urlauber hierher zurück.

Mancher sucht dabei das milde Klima, mancher die mediterrane Vegatation oder das preiswerte und dabei nahe Urlaubsdomizil. Doch so manchen zieht gerade jene gewisse Tristesse wieder hierher, die in Abbazia in der Luft liegt. Es ist das

Elegische der Villen, denen man den einstigen Glanz ansieht, die Traurigkeit der großen, alten Lokale, deren Eleganz verblichen wirkt, wenn sie voll besetzt sind, ihre alte pattoierte Stimmung entfalten, wenn die Gäste gegangen sind. Es ist die Melancholie einer Vergangenheit, die hier noch überall allgegenwärtig ist und doch vorbei.

Ob die jungen Menschen, die heute in Opatija heranwachsen, etwas von dieser Tristesse spüren? Lachend ineinander eingehängt, gehen sie auf den Straßen und treten die nicht zuletzt von gußeisernen Deckeln mit der Aufschrift „Abbazia“ repräsentierte Vergangenheit mit Füßen. In den Parks der alten Ufervillen sieht man noch immer die steinernen Sockel, auf denen einst Statuen standen. Zum Tel sind sie noch da. Aber nur der alte Mann auf der Uferpromenade, der einst die rosaroten Aufschläge getragen hat, konnte uns noch erzählen, was die eine oder andere dieser Figuren bedeutet. Oder bedeutet hat.

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