Der Sherpa auf der Rax

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Sein Heimatdorf liegt am Fuße des Mount Everest. Den Sommer aber verbringt Ngima Tamang seit Jahren auf der Rax. Deren schroffes Plateau erinnert ihn an die Landschaft in Nepal.

Seine Lieblingsspeise isst Ngima Tamang während der Sommermonate nicht oft. Momos, die gefüllten, nepalesischen Teigtaschen, kocht er nämlich nur selten. "Meistens essen wir Reis und Gemüse“, sagt er. Das Hüttenessen - Specklinsen, Bratwürstl oder Knödl - mag er lieber zubereiten, als selbst essen. "Jeden Tag Fleisch“, schmunzelt er, "bin ich nicht gewohnt.“

Seit zwölf Jahren verbringt der 34-jährige Nepalese jeden Sommer auf der Rax. Im Mai, kurz vor der Regenzeit in seiner Heimat, reist er an und bleibt bis November. Während der Sommersaison hält er die Gastwirtschaft in der Seehütte am Laufen. Insgesamt acht Nepalesen waren vergangenen Sommer auf Saison auf der Rax. Zurück geht diese Tradition - 1993 kam der erste - auf die Initiative von Franz Eggl.

Ihm gehört die Seehütte. Vor zwanzig Jahren übernahm er die Wirtschaft von seinem Vater, der sie einst gebaut hatte. Eggls Schwester wurde sogar hier oben geboren. Als echter "Rax-Mensch“ bezeichnet sich der gebürtige Preiner, der mit Ngima Tamang und den anderen beiden Nepalesen die Wandersaison auf dem Hochpalteau verbringt. Eggl ist ein begeisterter Bergsteiger und hat schon mehrere Touren im Himalaya unternommen. Auf einer lernte er Ngima kannen, der damals sein Gepäck trug. Er schlug ihm vor, einen Sommer in Österreich zu verbringen. Ngima kam - und tut es seither jedes Jahr.

Stationen einer Sherpa-Karriere

In Nepal durchlief er alle Stationen einer Sherpa-Karriere: Nach dem Schulabschluss begann er, Trekkinggruppen als Träger zu begleiten. Bis zu vierzig Kilo schleppte er auf den Touren mit, er trug das Gepäck der Gäste, die Campingausrüstung oder die Verpflegung. Nach drei Jahren wurde er Bergführer. Einmal führte er eine Gruppe zum 6.500 Meter hohen Mera Peak. "Ich liebe das Klettern, aber leider spüre ich die Höhe schnell“, sagt er. Die 8.000er des Himalaya sind für ihn deshalb ausgeschlossen. Dabei ist er mit ihnen groß geworden.

Ngimas Heimatdorf liegt im Sagarmatha Nationalpark im nordöstlichen Nepal. Das Gebiet ist UNESCO-Welterbe und umgeben von schroffen Gipfeln. Drei davon sind über 8.000 Meter hoch: Der Mount Everest, der Lhotse und der Cho Oye. "Als wir Kinder waren, sind wir oft hochgewandert, um die Gipfel zu sehen“, erzählt Ngima. Drei bis vier Stunden brauchten sie um auf 4.000 Meter zu gelangen, von wo aus sie den Mount Everest sahen. "Schon damals beschloss ich einmal Bergführer zu werden“, sagt Ngima, "das machen bei uns alle.“

Bauer, wie sein Vater, wollte Ngima jedenfalls nicht sein. "Das Leben im Dorf ist sehr hart“, erzählt er, "meine drei Brüder und ich sind deshalb alle nach Kathmandu gegangen, um Bergführer zu werden.“ Sein jüngster Bruder, der 25-jährige Mingmar Dawa verbringt diese Saison auch auf der Seehütte auf der Rax: "Er ist das erste Mal hier, aber es gefällt ihm sehr gut.“

Denn die Umgebung auf der Rax, die Tannen, die Wacholdersträuche und die raschen Wetterumschwünge erinnern die beiden stark an ihr Zuhause. "Das Klima ist so ähnlich. Hier fühle ich mich wie in Nepal - und zwar auf 4.000 Meter.“

Dabei liegt die Seehütte auf 1.643 Meter. Doch das Rax-Plateau mutet hochalpin an und auch im Sommer kann hier ein Schneesturm aufziehen. Vom rauhen Klima erzählen auch die buddhistischen Gebetsfahnen, die vom Hüttendach gespannt sind: Das Wetter hat sie in bunte Fransen zerlegt. "Auf 2.000 Meter wächst bei uns noch normales Gras, auf 4.000 Meter ist es so wie hier. Eisig wird’s in Nepal erst ab 6.000 Meter“, weiß Ngima. Deshalb denkt er besonders gern daran zurück, als er bei einem Österreichbesuch den Großglockner bestiegen hat und im Jahr darauf den Großvenediger: "Das sind anspruchsvolle Berge, aber sie sind nicht so hoch. Deshalb ist mir nicht schlecht geworden“, freut er sich. Auch auf der Rax geht Ngima gern spazieren, selten aber an Schönwettertagen: "Da ist in der Hütte zu viel los.“

Viel mehr als eine Wanderung ist als Freizeitbeschäftigung beim Saisonjob sowieso nicht möglich. "Das Leben hier oben ist einfach: Hier gibt’s keine Discos, hier muss man sich mit den Schönheiten der Natur zufriedengeben“, sagt Eggl. Wegen genau dieser Fähigkeit schätzt er seine nepalesischen Helfer. Mit Hilfskräften aus Österreich, Ungarn oder der Slowakei hat er weniger gute Erfahrungen gemacht: "Es kann auch sein, dass man eine ganze Woche Schlechtwetter hat. Dann muss man sich mit sich selbst beschäftigen können. Die Nepalesen sind dieses einfache Leben gewöhnt.“ Wenn nicht viel los ist, helfen sie Eggel bei Holzarbeiten oder beim Herrichten der Wege. Und zu Übungen der Bergrettung, bei der Eggl engagiert ist, nimmt er sie regelmäßig mit: "Was wir über Bergung und Erste Hilfe wissen, geben wir so an sie weiter.“

Von seinen Sherpas ist Eggl auch wegen ihrer Verlässlichkeit, ihrer Freundlichkeit und ihrer immer guten Laune begeistert - obwohl ihre Gemütlichkeit manchmal selbst ihm zu weit geht: "Stress gibt es für sie nie. Aber auch mir tut das Zurückschalten gut.“ Dafür nimmt er Jahr um Jahr den Kampf um die Arbeisgenehmigung auf sich. Das Arbeitsvisum als Saisoner gibt’s für Ngima und seine Kollegen nur an der österreichischen Botschaft in Delhi. Und auch dort nicht immer unkompliziert.

Rund 1.300 Euro verdient Ngima nach dem Kollektivvertrag als Küchenhilfe. Kost und Logis auf der Seehütte sind gratis, und die Schmutzwäsche wird jede Woche von Eggls Frau gewaschen. Für Ngima ist das Geld ein wichtiger Grund, warum er jeden Sommer wieder kommt: In Nepal liegt das durchschnittliches Jahreseinkommen unter 500 Euro. Während der sechs Monate in Österreich kann er zehn Mal so viel verdienen wie zu Hause in einem Jahr.

Fotos gegen Heimweh

Dafür ist er ein halbes Jahr von seiner Familie getrennt. Während er auf der Rax ist, lebt seine Frau Sukrani mit seinen Töchtern Ngimlamu und Mingmar Dolma in Kathmandu. Die Töchter, 14 und 5, gehen beide in die Schule. Auf seiner kleinen Digitalkamera zeigt er Fotos von Mingmar Dolmas erstem Schultag vor einem Jahr. Dann welche von der Hochzeit seines Cousins und Bilder von einem Familienausflug in einen Tempel. "Ich schaue mir diese Fotos oft an“, sagt er, während er von Bild zu Bild klickt, "ich vermisse sie sehr.“ Einmal in der Woche ruft er von der Seehütte in Kathmandu an. "Die Telefonate sind mir sehr wichtig.“ Die Schokolade, die er seinen Töchtern mitbringt, hat er schon bei der Ankunft in Schwechat am Flughafen besorgt: "Sie lieben Milchschokolade. Das haben wir in Nepal nicht.“

Gegen das Heimweh hilft ein Spaziergang auf dem Plateau, die Gesellschaft der anderen Sherpas oder ein Schlagabtausch mit Franz Eggel, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet. Und jedes Jahr am 15. August wird die "Halbzeitfeier“ begangen. Dann schaut die Speisekarte auf der Seehütte anders aus. Statt Specklinsen werden dann Momos serviert.

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