Design für alle und Dich

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Das „Prinzip IKEA“ hat Lebensstil und Alltagskultur der Menschen zweifellos revolutioniert. Mehrheitsprogramm ist die Philosophie des schwedischen Möbelhauses dennoch keines.

Eine gottverlassene Gegend, wo sich Elch und Fischotter Gute Nacht sagen. Dennoch hat die Provinz Småland im Süden Schwedens zwei weltbekannte Persönlichkeiten hervorgebracht: die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, die mit ihren eigenwilligen und unkonventionellen Figuren die Kinderliteratur revolutionierte, und den Naturforscher Carl von Linné, dessen Katalogisierung und Benennung der Tier- und Pflanzenwelt noch heute gültig ist. Aus der einstmals bitterarmen Gegend stammt jedoch noch jemand, der zwar dem Namen nach wenig bekannt ist, dessen Einfluss auf den heutigen Alltag aber nicht zu unterschätzen ist: Ingvar Kamprad. Fügt man die Initialen seines Namens, die Anfangsbuchstaben des elterlichen Bauernhofes Elmartyd sowie des heimatlichen Dorfes Agunnaryd aneinander, so ergibt sich das Akronym IKEA. In dem von Kamprad gegründeten Unternehmen vereinen sich auf wundersame Weise die von Pippi Langstrumpf bewohnte Villa Kunterbunt und das strenge, rationale Ordnungsprinzip Carl von Linnés.

Der von der Schweiz bis Kanada, von China bis Saudi-Arabien präsente schwedische Möbelhersteller hat das Wohnen für viele Menschen in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt. 1977 eröffnete IKEA in der Shopping City Süd sein erstes Einrichtungshaus in Österreich. Fast 40.000 Menschen, viel für die damalige Zeit, strömten am Eröffnungswochenende in den Süden Wiens. Man muss sich vor Augen führen, wie die allermeisten Österreicher damals lebten: Im schlimmsten Fall inmitten schwerer, dunkler und wuchtiger altdeutscher Möbel, die die Strenge der Vätergeneration verströmten, in der Enge rustikaler Bauernstuben oder in Möbeln aus den 50er Jahren, die in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs angeschafft worden waren. Die Familie Sackbauer aus „Ein echter Wiener geht nicht unter“ etwa wohnte – zu Beginn der legendären Fernsehserie – nicht im zeitgenössischen Ambiente, sondern in einer damals zwanzig Jahre alten Einrichtung, die nichts mit dem Geist der 70er Jahre zu tun hatte. Gutes, zeitgemäßes Design war nur Wohlhabenden zugänglich.

„Ästhetische Erziehung des Menschen“

Mit IKEA allerdings änderte sich das schlagartig. Plötzlich waren um wenig Geld qualitätsvoll und zeitgemäß gestaltete Möbel verfügbar. Die Sofas und Tische, Regale und Lampen mit ihren ulkigen Namen strahlten eine bislang ungeahnte Leichtigkeit aus, zeichneten sich durch Helligkeit und bunte Farben aus. IKEA-Möbel verströmten eine legere, lockere Atmosphäre. Dafür stand auch ein damals noch ungewohnter Umgangston: Die Kunden wurden im Katalog und auf Plakaten geduzt. Die Möbel aus Schweden wurden zu einer willkommenen Alternative zur Ästhetik der Elterngeneration. Mit IKEA hielt der Pop in Österreichs Wohnungen Einzug. Wie auch der Pop hat IKEA mittlerweile den Weg ins Museum angetreten, gleichwohl beide alles andere als tot sind: In einer Ausstellung im Hofmobiliendepot werden Wurzeln, Geschichte und Einfluss des stilprägenden Unternehmens beleuchtet (siehe unten).

Die weite Verbreitung von IKEA-Möbeln ist kein Zufall, sondern Programm. IKEA steht für die Idee, gutes Design für möglichst viele Menschen leistbar zu machen. Das Versprechen, den Alltag der Menschen aufzumöbeln, prangt in großen Lettern in der Eingangshalle der Firmenzentrale im schwedischen Älmhult: „A better everyday life for the many people“. Wenn man will, kann man dieses Prinzip bis Friedrich Schiller zurückverfolgen: Der Mensch werde zu einem besseren Menschen, wenn er sich mit schönen und harmonisch gestalteten Gegenständen umgebe und sie betrachte, schrieb dieser in seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Konkret fußt die IKEA-Philosophie in der englischen Art-and-Crafts-Bewegung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ein Neudenken auf dem Gebiet des Kunsthandwerks und des Produktdesigns plädierte. In Abgrenzung vom Historizismus und den als seelenlos empfundenen Produkten der aufblühenden Industrie trat u.a. der Sozialreformer William Morris für die Besinnung auf einfache Schönheit, Nützlichkeit und Qualität ein.

Gerade in Schweden fiel dieses Gedankengut auf fruchtbaren Boden. Carl Larsson (1853–1919), der berühmteste Maler des Landes, wurde bekannt mit den idyllischen Bildern, die das alltägliche Leben seiner Familie in ihrem Wohnhaus zeigen. Die Einrichtung des Hauses machte Furore: Das in lebensfroher Funktionalität und unorthodoxem Mix von Alt und Neu gestaltete Heim wurde zum Leitbild schwedischer Lebensart. Davon inspiriert verfasste die Schriftstellerin und Reformpädagogin Ellen Key den einflussreichen Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Schönheit für alle“.

Die skandinavische Moderne ging ihre eigenen Wege. Anders als etwa in der durch das Bauhaus repräsentierten radikalen Avantgarde vergaßen die nordischen Designer nie, dass Funktionalität nicht Selbstzweck ist, sondern dass Gestaltung dem Menschen und seinem Wohlbefinden dienen solle. Die skandinavische Moderne zeichnet sich durch eine Vorliebe für das Material Holz, für naturbelassene Oberflächen und organische Formen aus. Bei IKEA finden diese gemäßigte Ausprägung der Moderne und der Gedanke „Schönheit für alle“ in Harmonie zusammen.

Der Einkauf als Familienausflug

Ausschlaggebend für den Erfolg des 1943 gegründeten Unternehmens ist jedoch nicht nur die Gestaltung der Möbel, sondern auch die Art und Weise, diese an den Mann und an die Frau zu bringen. Der Kunde sucht sich im Katalog oder im Schauraum die gewünschten Objekte aus, holt die in ihre Einzelteile zerlegten Möbel selbst im Lager ab, transportiert sie im Auto nach Hause und baut sie dort selbst zusammen. Ursprünglich waren Minimierung der Transportkosten, Reduktion des Personalaufwandes und Übertragung von Produktionsschritten an den Käufer rationale, gewissermaßen dem Linné’schen Ordnungsprinzip verpflichtete Ansätze, um die Preise möglichst gering zu halten. Doch die Kunden fanden Geschmack am Prinzip der Selbstbedienung und daran, selbst am Produktionsprozess beteiligt zu sein. Der IKEA-Kunde fühlt sich nicht als passiver Konsument, sondern als selbstbestimmter Akteur. Er gleicht einem Besucher der Villa Kunterbunt, der sich ein Stück Abenteuer mit nach Hause nimmt. Ein Besuch bei IKEA ist auch mehr als ein bloßer Einkauf. Keine Seltenheit ist es, dass sich Freunde zum gemeinsamen IKEA-Besuch verabreden. Für Familien wird der Einkauf zum gemeinsamen samstäglichen Ausflug.

Auch wenn die IKEA-Ästhetik mittlerweile weite Verbreitung gefunden hat – um ein Mehrheitsprogramm handelt es sich nicht. Die Ausstellung im Hofmobiliendepot stellt zwei exemplarische Wohnzimmer gegenüber. Eines ist mit den derzeit in Österreich meistverkauften Produkten aus dem IKEA-Sortiment eingerichtet: ein heller Raum mit leichten, in gedämpften Farben gehaltenen Möbeln, modern, einladend und behaglich. Daneben ist „Österreichs häufigstes Wohnzimmer“ aufgebaut, das von einer Werbeagentur auf Basis von Statistiken, Studien und Hausbesuchen konstruiert wurde: eine klobige, blaue Sitzgarnitur mit unbequem abfallenden Armlehnen, ein popeliger Wandverbau in Buchen-Optik und ein dazu passender Laminatboden. Normalerweise steht diese Scheußlichkeit im Büro der Agentur, wo sie zum Gaudium der Werbemenschen als Empfangsraum dient. Für viele Österreicher aber ist dieser um nicht wenig Geld unwohnlich eingerichtete Raum Realität.

Phänomen IKEA

Hofmobiliendepot – Möbel Museum Wien, Andreasgasse 7, 1070 Wien;

bis 11. Juli, Di.–So, 10–18 Uhr

www.hofmobiliendepot.at

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