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Abschied vom einen Stil

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Eine Ausstellung gibt zu denken. Sie heißt „Design aus Schweden“ und beginnt ihre Rundreise durch Europa in Wien, einer Stadt, die längst vergessen, ja kaum je richtig zur Kenntnis genommen hat, daß einer, der aus ihr emigrierte, zu einem der Väter der „modernen schwedischen Form“ geworden ist. In Schweden hat man es nicht vergessen, hat aus diesem Grunde die Ausstellung zuerst nach Wien geschickt, eine kleine Verbeugung vor uns, die wir aber schon gar nicht verdienen. Denn jener Josef Frank, der Wien 1938 hätte verlassen müssen, hätte 'er es nicht schon 1934 getan, wäre, dem Vernehmen nach, nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus wieder für Wien zu haben gewesen, hätte nur Wien ihn haben wollen. Seine Heimholung scheiterte, dem Vernehmen nach, am massiven überparteilichen Desinteresse.

Aber über den übrigens durchaus dissertationswürdigen blinden Fleck in unserer Zeitgeschichte, der Nachkriegsösterreichs gebrochenes Verhältnis zu seinen Emigranten betrifft, gibt die Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in der Wiener

Weiskirchnerstraße nur ganz nebenbei zu denken.

In erster Linie zwingt sie zum Nachdenken über die Wandelbarkeit des sogenannten Zeitgeschmackes.

Zwingt dazu zumindest jeden, der dessen Wandlungen über eine gewisse Strecke nicht nur miterlebt, sondern mitverfolgt und - wenigstens teilweise - mitvollzogen hat.

Denn was als „Swedish modern“, als „schwedische Moderne“, längst in die Stilgeschichte eingegangen ist und heute, in seinen Weiterentwicklungen, eine Möglichkeit unter vielen, sein Heim zu gestalten, darstellt, war vor 25 Jahren viel mehr als nur eine unter gleichwertigen Alternativen. Vieles, was man jetzt in der Ausstellung „Design aus Schweden“ sieht, kennt man längst aus den heimischen Schaufenstern. Aber fast jedes Stück hat zumindest noch einen Touch von jener Mischung aus ästhetischem Spartaner-tum und gutem Geschmack, die den „schwedischen Stil“ seit jeher auszeichnet. Nur kam damals, bevor sich die Italiener für eine Weile zur europäischen Design-Nation Nummer 1 emporschwangen, noch etwas dazu -

nämlich die Faszinationskraft, die jeden Stil, im Zweifelsfall auch jede „Welle“, unwiderstehlich macht, so lange man ihn, beziehungsweise sie für die so unwiderruflich letzte Konsequenz einer Entwicklung, für die derart höchste Steigerungsstufe eines Prinzips halten kann, daß schon der Gedanke an das nächste Neue in den Augen der Puristen zum schnöden Verrat wird.

Der „moderne schwedische Stil“ war Ausdruck einer an so wohltönenden Abstrakta wie „Klarheit“ und „Funktionalität“ orientierten Lebenshaltung, und einen besseren oder auch nur einen gleichguten ganz anderen konnte oder wollte niemand als möglich gelten lassen, der von der Warte so strenger Grundsätze auf den Rundbau in kaukasischer Nuß der misera plebs herabsah, aber - ja, damals noch! -auch auf alles, was nach Jugendstil, Historismus oder sonstigen Verspieltheiten roch.

Lang ist's her. Einige? von dem, was damals in Skandinavien entworfen wurde, erwies sich als so zeitlos, daß es für alle Zeit gut bleiben wird. Es gibt Produkte, an denen nichts mehr verbessert werden kann. Österreichs Thonet-Sessel gehören dazu, die einfachen, aber auch der klassische Schaukelstuhl. Die Armstühle und Hocker

des Finnen Alvar Aalto. Aber auch die kubischen Fauteuils von Corbusier. Sie werden auch nach wie vor erzeugt. Die Herstellung solcher Produkte einzustellen, grenzt an ein Verbrechen, das aber leider immer wieder geschieht.

Schon das Nebeneinander eines Thonetsessels mit einem Armstuhl von Aalto, eines Corbusier-Würfels mit einer feinsprossigen, geschwungenen Sitzgelegenheit von Iversen beweist, daß man beim konsequenten Voranschreiten auf dem Weg zu immer größerer Einfachheit und Funktionalität an äußerst verschiedene Endpunkte gelangen kann. Auch das Biedermeier gelangte schließlich an einen solchen Endpunkt und verkam, als es ihn ignorierte.

Man braucht nur „Design aus Schweden“ zu studieren und dann in ein oder zwei hochgestochene Möbelgeschäfte zu gehen, um zu sehen, daß wir uns auf keinen neuen allgemeingültigen Einrichtungsstil als Ausdruck einer Lebenshaltung zubewegen, sondern daß das letzte derartige Phänomen unwiderruflich in der Vergangenheit (beziehungsweise als eine Alternative im Pluralismus der Möglichkeiten) verschwindet.

Fortschrittsgläubigkeit und Sehn-

sucht nach der Vergangenheit erzeugen nicht nur extrem gegensätzliche Angebote, sondern auch wildesten Stilmischmasch. Die handwerklichen Traditionen der Antipoden ringen um Marktnischen, der anspruchsvolle Konsument schwankt zwischen Bi-dermeier und Peddigrohr, nimmt im Zweifelsfall das eine fürs Wohn- und das andere fürs Schlafzimmer und liefert ahnungslos die Praxis zu jener alten Theorie, wonach alles zusammenpaßt, was auf seine Weise vollkommen ist - wie ja auch, auf der anderen Seite, aller Kitsch der Welt zusammenpaßt.

„Design aus Schweden“: Ein Hauch von guter alter Zeit. Eine pluralistische Gesellschaft ist eben pluralistisch auch in ihren nostalgischen Ambitionen. Vor 70 oder 80 Jahren trat der Jugendstil mit dem Anspruch auf, die Welt zu erneuern, ein wenig später das Bauhaus, wieder ein wenig später die „moderne schwedische Form“. Jede dieser Reminiszenzen befriedigt heute eine andere Sehnsucht. Der Jugendstil bietet nicht nur kulinarische Ästhetik, sondern auch einen letzten Zipfel wenigstens einer heil scheinenden Welt. Dafür residiert unser puritanisches Ich in einem schwedisch möblierten Winkel unserer Seele.

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