Die aufgestellte Familie

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Von der Berlinale bis zur Diagonale machte Marie Kreutzer Erstling "Die Vaterlosen“ von sichreden: Auch eine ehemalige Kommune bietet Stoff für eine komplexe Familiengeschichte.

Bei der Berlinale machte der Film von sich reden - und war dort der erfreulichste Auftritt des Filmlandes Österreich in diesem Jahr. Auch dass "Die Vaterlosen“ letzte Woche auf der "Diagonale“ die Preise abräumten, war ein Zeichen für diese Tatsache: Der Große Diagonale-Preis sowie die Festivalauszeichnungen für die beste Kamera (Leena Koppe) und für die besten Darstellungen (Marion Mitterhammer und Johannes Krisch) gingen an Marie Kreutzers Erstlingsfilm.

Überraschend reif und nonchalant

Es überrascht, dass eine 33-jährige Regisseurin mit ihrem Spielfilmdebüt bereits solche filmische Reife gepaart mit der erfrischend nonchalanten Beobachtung familiärer Irrungen und Wirrungen vorlegen kann. Der Blick von Kreutzer strotzt von so viel Wissen um die Gebrochenheit von Utopien und das Zerfließen von heilen Welten, dass es eine Freude ist - wenn dieser Ausdruck angesichts der Tristesse, welche nach dem Tod des Kommunen-Patrons Hans offenbar wird, überhaupt angebracht ist.

Manche haben "Die Vaterlosen“ mit Thomas Vinterbergs Dogma-Ikone "Das Fest“ verglichen: Während dort der familiäre Wahnsinn anhand einer dänischen Patriziersippe durchdekliniert wird, knöpft sich Marie Kreutzer das nämliche Szenario vor dem Hintergrund einer Kommune vor: Hans, durchaus ein Reserve-Otto-Mühl (wenn auch wohl nicht wie jener mit beiden Beinen im Kriminal), hinterlässt etliche gebrochene Frauenherzen und als Resultat davon einige Nachkommen. Und dieser Hans (einmal mehr großartig: Johannes Krisch) lebt zuletzt allein mit Gefährtin Anna (Marion Mitterhammer) im einstigen Alpenhof der linken Wohn- und Lebensgemeinschaft.

Es geht aufs Ende zu, doch nur Sohn Niki (Philipp Hochmair), erfolgreicher Chirurg in München, schafft es an Vaters Sterbebett. Auch die anderen Kinder hat Hans an seinen letzten Ort rufen lassen, sie kommen aber zu spät: der in den Tag hinein lebende Vito (Andreas Kiendl), Mizzi (Emily Cox), die Jüngste, sowie Kyra (Andrea Wenzl), die einst von Hans verstoßen wurde und um deren Existenz Mizzi bis zum Zusammentreffen am Totenbett nicht wusste.

Ein komplexer Showdown

Die vier Kinder und deren Partner liefern sich bei der Zusammenkunft einen komplexen Showdown: Alte und verschwiegene Konflikte brechen ebenso auf wie Verwerfungen in den heutigen Beziehungen der Protagonisten. Und verstörend aktuell ist diese Filmerzählung: Zwar haben die 68er schon lang die Unschuld verloren - die Utopie eines aller bürgerlichen Zwänge entledigten Lebens hielt bekanntlich nicht lange, aber die Bestandteile ihrer Zertrümmerung liegen immer noch herum. Solche klauben die an dieser Großfamilie Beteiligten post mortem auf.

Dass rund um die Missbrauchsaffären zuletzt auch die Utopisten der späten 60er-Jahre ins öffentliche Visier gerieten, macht die Familienaufstellung à la Marie Kreutzer erst recht brisant - wenngleich die sexuellen Zwänge fast nur zum Nebenaspekt des Geschichtsknäuels geraten sind.

"Die Vaterlosen“ nähert sich dieser Sippen-Verwirrtheit auf zwei Zeitebenen: Johannes Krisch als Indianerhäuptling von der traurigen Gestalt hat in seiner Darstellung der Kommunen-Historie grandiose Momente.

Erzählte Sippen-Verwirrtheit

Die anderen Darsteller lassen auf der Ebene der Gegenwart ihrer Erinnerung wie den kollektiven Gedächtnislücken freien Lauf: Kyra wurde einst von Hans vor die Tür gesetzt, die versammelten Zurückgebliebenen würden das am liebsten weiter beschweigen. Aber Mizzi, die Ahnungslose, wird zum Katalysator der Wahrheit, die scheibchenweise ans Licht kommt.

Eine überzeugende wie plausible Geschichte erzählt Marie Kreutzer in ihrem Film. Keine Abrechnung mit dem kommunardischen Lebensstil. Aber ein Hinweis, dass auch in diesem Milieu so etwas wie die Gemeinsamkeit eines familiären Bandes ebenso spürbar bleibt wie dessen Zerreißen.

Die Vaterlosen

A 2011. Regie: Marie Kreutzer. Mit Johannes Krisch, Marion Mitterhammer,

Philipp Hochmair. Thimfilm. 104 Min.

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