Die Gesichter der Opfer

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"Victims" - Erinnerungsbilder der in Wien lebenden Malerin Ramesh Daha zum 11. September 2001.

Glaubt man den CNN-Bildern, dann war Howard Lee Kane (40) ein fröhlicher Mann. Auch Robin Kaplan (33). Und Mary Wahlstrom (75). Alle drei Personen sind heute nicht mehr am Leben. Sie starben vor nunmehr zwei Jahren, beim Anschlag am 11. September 2001. So wie weitere knapp 2.800 Menschen aus ihrem Arbeitsalltag im World Trade Center gerissen wurden. Erst kürzlich veröffentlichte die "New York Times" die per Gerichtsurteil freigegebenen Tonbandmitschnitte der Opfer. "Sergeant Holland am Apparat." "Ja, Sergeant. Hier Jeannie McIntrye. Ist mein Mann in dem Gebäude, das gerade eingestürzt ist? "Ja, also wir haben, wie soll ich sagen, wir haben keine Informationen. So wie ich das verstehe, wird das grauenvoll, verstehen Sie?" Der Polizeioffizier Donald James McIntrye (38) war darunter. Im Internet sind sie noch präsent. Unter www.cnn.com sind die von Familienangehörigen zur Verfügung gestellten Bilder der Opfer abrufbar.

Als die in Wien lebende Malerin Ramesh Daha die Bilder der trauernden Erinnerung zum ersten Mal sah, wusste sie sehr bald, dass der 11. September 2001 sie nicht mehr verlassen würde. Persönliche Betroffenheit kam hinzu: Eine Cousine der Familie befindet sich ebenfalls unter den Getöteten. Darya Lin (32) war zu einem PR-Meeting im zweiten Turm geladen, als sich die Flugzeuge in das World Trade Center hinein bohrten. "Victims", Opfer, ist ein Porträtzyklus der besonderen Art. Er ist ein Denkmal in progress. Am Ende sollen alle via Internet veröffentlichten Opfer als Porträts wieder erstanden sein. Fünf, manchmal sechs Porträts schafft Daha in der Woche, dann muss sie wieder pausieren, wendet sich anderen Aufgaben zu.

Denkmal in progress

Als sie mit den ersten Bildern im Frühwinter 2001 begann, war die Konfrontation mit den Opfern noch unmittelbar, direkt und belastend. Nächtelang besah sie sich die CNN-Bilder, druckte die Fotos aus, sammelte zusätzliche Information über das Ereignis, während ihre Familie - sie ist Mutter zweier Söhne - schlief. Heute hat sie Distanz geschaffen, die Konzentration liegt wieder auf dem Eigentlichen, der Porträtmalerei. Das Malen nach den Internet-Fotografien gestaltet sich schwierig. Die Mehrzahl ist färbig, ein Teil schwarz- weiß. Auch die Bildauswahl ist unterschiedlich: Passfotos, Hochzeits- und Familienbilder, Gruppenaufnahmen, oftmals herausgenommen aus den Alben der Zurückgebliebenen.

Das vom Tod überraschte Leben wirkt in den Bildern nach. Howard Lee Kane sieht man etwa als Hochseefischer, Mary Wahlstrom bei einem festlichen Anlass, ebenso Darya Lin. Bislang malt Ramesch Daha auf kleinem Format: 30 x 24 Zentimeter. Ob dies immer so bleiben wird, lässt sie offen. Man spürt die Skepsis gegenüber der Vereinheitlichung des Lebendigen.

Form des Erinnerns

Einmal war ein Teil der Porträts bereits in der Öffentlichkeit zu sehen. Den Besuchern der Sammlung Essl in Klosterneuburg offenbarte sich im Frühsommer dieses Jahres ein riesengroßes Bildquadrat, bestehend aus mehr als 220 Porträts. Die damit einhergehende Bildwucht prägte sich ein, während das einzelne Porträt zu verschwimmen drohte. Heute würde Daha, die 1971 in Teheran geboren wurde, ihre Bilder in dieser Weise nicht mehr zeigen. Ihre Vorstellung: Jedes Bild nacheinander, gereiht zu einer fast endlosen Linie. Hinter all dem steht die Frage nach der geeigneten Erinnerungsform, die Daha dadurch zuspitzt, indem sie keine Namen auflistet. Es gilt das Bild. Ungewöhnlich in einer Gesellschaft, die sich ihrer Toten gemeinhin durch den Namen erinnert. Der scheinbaren Buchstaben-Ewigkeit stellt sie die Momentaufnahme des Gesichtes gegenüber.

Ungewöhnlich ist "victims" aber auch deswegen, weil Daha mit ihren Porträts getöteter Menschen an die Verletzlichkeit des bürgerlichen Lebens erinnert. Der 11. September, das war kein Krieg, sondern die völlige Überrumpelung durch den Tod an einem völlig normalen Vormittag in New York. In den Bildern der knapp 30jährigen Malerin, die bei Georg Eisler und Hubert Schmalix in die Schule ging, ist dieser bedrückende Gedanke stets verspürbar: die Gewalt "aus heiterem Himmel".

Bislang hat Daha etwa 225 Porträts gemalt. Das ist ungefähr die Zahl, die die damaligen Besucher des Luxusrestaurants "Windows of the World" plus den Angestellten von zwei, drei Stockwerken darunter umfasst. Und sie malt weiter, Gesicht um Gesicht. Theoretisch bis zu Igor Zukelman (29), der in der alphabetischen Reihenfolge der CNN-Homepage als Letzter der Opfer vom 11. September 2001 angeführt wird. Für die Künstlerin Ramesch Daha gilt freilich weiterhin nur das Bild.

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