Die Herzenge von Gibraltar

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Zurzeit ist Gibraltar wieder in den Schlagzeilen. Die gegenwärtigen verbalen und diplomatischen Scharmützel zwischen Spanien und der britischen Enklave, sind ein Beweis dafür, dass auch innerhalb EU und Nato längst nicht aller - historische - Ballast abgeworfen ist. Aber der Felsen von Gibraltar steht heute mehr denn je symbolisch als Bastion eines geschlossenen Europa: Diesseits liegt die derzeit krisengebeutelte Staatengemeinschaft, jenseits der Kontinent, aus dem Flüchtlinge kommen, gegen die sich der Erdteil abschottet.

Darf und soll man sich mit dieser Situation abfinden? Nein. Papst Franziskus hat bekanntlich im Juli den Europäern dazu ins Gewissen geredet. Aber auch der in Kärnten lebende Schriftsteller Wolfgang Maria Siegmund will mit dem Buch "Schäm dich, Europa“, die Menschen des Kontinents aus ihrer Lethargie aufrütteln. Der Untertitel "Meer-Ethik in Anbetracht der Herzenge von Gibraltar“ zeigt, worum es diesem Autor von Anbeginn geht: Gibraltar darf nicht zur Chiffre einer kulturellen Verengung und Einigelung werden. Die Meerenge von Gibraltar ermöglichte vielmehr den Sprung auf die jeweils andere Seite des Mittelmeerres, und von der Levante bis Nordafrika reichte bekanntlich einst auch der Kulturraum, zu dem das nördlich des Meeres gelegene Europa gehörte.

Zwei Dinge interessieren am Zugang Siegmunds. Zum einen, dass es um eine ethische Betrachtung dieser vordergründig politischen Lage geht. Und zum anderen, dass es zuvörderst einer Auseinandersetzung im Denken bedarf. Also assoziiert und analysiert Siegmund in "Schäm dich, Europa“ auch vier exzeptionelle Denker: Vom früh verstorbenen Albert Camus leiht er sich den Ausdruck "mittelmeerisches Denken“, das er im aktuellen Diskurs und (politischen) Leben so vermisst.

Für ein "mittelmeerisches Denken“

Dieser Camus wird mit drei Philosophen ins Gespräch gebracht oder wie in einem Arthausfilm gegengeschnitten: mit dem jüdischen Denker des Anderen, Emmanuel Lévinas, mit dessen Freund und Begründer des Dekonstruktivismus, Jacques Derrida, sowie - als Lebenden in dieser denkerischen Trias - den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der erst vor wenigen Wochen mit seinem Eintreten für ein "lateinisches Reich“ gegen eine behauptete nordeuropäisch-protestantische Hegemonie Widerspruch hervorrief (vgl. FURCHE 23/2013).

Für Siegmund ist gerade Agambens "Ethik im Namen aller Namenlosen“ ein Ausgangspunkt: "Binde dich, wie Odysseus, an die vier Masten, wenn du nicht willst, dass der Mensch an dir vorübergeht“, zitiert er diesen, um selber vier Masten einer "mittelmeerischen Ethik“ zu entwickeln.

Alles andere als leichte Kost stellt dieser philosophisch formulierte "wütende Protest“ gegen den Staus quo der "Herzenge von Gibraltar“ dar. Man ist froh über jede Stimme, die sich hier auflehnt. Und findet in den von Siegmund unkonventionell hervorgekehrten "mittelmeerischen“ Denkern ganz gewiss Verbündete.

Schäm dich, Europa

Meer-Ethik in Anbetracht der Herzenge von Gibraltar.

Von Wolfgang Maria Siegmund.

Styria Premium 2013.

160 Seiten geb.,

* 19,99

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