Die Poesie der Helligkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Mit „Well and Truly“ verwandelt die New Yorker Künstlerin Roni Horn das Kunsthaus Bregenz in eine Lichtinstallation. Zu sehen sind die titelgebende Glasarbeit, 15 Doppelporträts, beschriftete Stelen sowie collageartige Papierarbeiten.

Während in Boston zurzeit eine große Retrospektive der Künstlerin zu sehen ist, zeigt die Schau in Bregenz ganz aktuelle Arbeiten der international agierenden Roni Horn, die etwa schon auf der Documenta oder bei der Biennale inVenedig zu sehen war.

Im Erdgeschoss heißen riesenformatige Zeichnungen den Besucher willkommen, im ersten Stock hat die amerikanische Künstlerin scheinbar lapidar Aluminium-Stelen mit Aufschriften der US-amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson versehen, im zweiten Stockwerk finden sich 15 Paare fotografischer Selbstporträts, die die Künstlerin über ihre Lebenszeit (geb. 1955) hinweg in unterschiedlichen Posen zeigt. Im obersten Stockwerk finden sich gläserne Wasserbehälter, die nach einem scheinbar ausgeklügelten System im Raum angeordnet sind.

Die Großformate des Erdgeschoßes, die paarweise angeordnet sind, zeigen die Arbeitsweise der Künstlerin besonders deutlich: Sie zerschnipselt die ursprünglichen Zeichnungen und fügt sie zu neuen Formen zusammen – Vergleiche zum analytischen und synthetischen Kubismus à la George Braque und Pablo Picasso sind nicht unangebracht. Das Zerschneiden und rhythmisierte neu Zusammenfügen nach einem seine Gesetzmäßigkeiten verbergenden System findet sich hier wie dort.

Spiel von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit

Wahrscheinlich sind es die zu einzeiligen Aphorismen zusammengekürzten Aussagen der Dichterin Dickinson, die sprachlich am deutlichsten in das Werk von Roni Horn hineinführen können. Oft sind es diese formelhaften Wendungen, die in ihrer Kürze etwas von der großen Welt draußen zu enthalten scheinen. Beispielsweise der Satz „Night’s capacity varies, but Morning is inevitable“, der eine Welt in sich beschreibt. Emily Dickinson hatte sich nach einer guten Erziehung die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens im 19. Jahrhundert fast nur noch in ihren eigenen vier Wänden aufgehalten und so in großer Stille und beinahe klösterlicher Einsamkeit ein Werk geschaffen, das in seiner Klarheit die Poesie des 20. Jahrhunderts vorwegnahm. In den Stab-Skulpturen werden diese Schriftzüge Teil weißer Skulpturen, die einerseits auf die Materialität der Konzeptkunst und Minimalart der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts verweisen und andererseits als singuläre Werke in der zeitgenössischen Kunst Bestand haben können.

Auch die Doppelporträts im zweiten Stock laden zum Vergleichen ein, das dialektische Spiel von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit lässt einen Kosmos von Möglichkeiten zu. Die Gegenüberstellung der verschiedenen Lebensalter, der wissende Blick, das Lächeln einer Sphinx, der Blick in die Kamera, der Blick zur Seite, all das verweist auf die Präsenz des Vergangenen in der Gegenwart. Dieses lächelnde Mädchen, erinnert es sich nicht schon an die spätere Karriere? Das innere Kind in der Erwachsenen, weiß es um die Träume, denen das Mädchen nachgeeifert ist? Die zu 15 Paaren angeordneten 30 Fotografien, die alle immer wieder die Künstlerin selbst zeigen, haben natürlich auch etwas von einem narzisstischen Spiegelkabinett. Die ständige Visualisierung des eigenen Konterfeis offenbart unfreiwillig auch einen tiefen Konflikt um die eigene Identität inklusive des Geschlechtlichen. „Wie viel an mir ist Frau, und wie viel ist Mann?“, scheint das Mantra zu sein, das Werk und Leben der sich bewusst androgyn inszenierenden Künstlerin durchzieht.

Spiel des Lichts, zur Perfektion getrieben

Der dritte Stock bietet so etwas wie den krönenden Abschluss: Die Glasarbeit „Well and Truly“ aus dem Jahr 2009 zeigt zehn große runde Glasskulpturen, die bis zum Rand mit Wasser gefüllt scheinen. Diese Arbeit ist es wohl auch, warum die Künstlerin unbedingt im Frühjahr ausstellen wollte, geht es hier doch vor allem auch um das Spiel des Lichtes, die Poesie der Helligkeit, die hier besonders hervortritt und durch die lichtdurchlässigen Glasschindeln des Hauses zur Perfektion getrieben wird. Damit steht Roni Horn in einer langen Tradition der Beschäftigung der Kunst mit dem Licht, angefangen von den lichtverspielten gotischen Rosenfenstern des Mittelalters über die berühmten Lichtbilder der Impressionisten im 19. Jahrhundert bis hin zu Lichtinstallationen eines James Turrell in den 60er Jahren.

Roni Horn, „Well and Truly“

Kunsthaus Bregenz

bis 4.7., Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung