Düstere Atmosphäre gespiegelt

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"Zero Dark Thirty“: Nach dem Irak-Krieg ("The Hurt Locker“, dem Oscar-Gewinner 2010) nimmt sich Kathryn Bigelow der Jagd und der Tötung von Osama Bin Laden 2011 an. Auch diesem Film werden Oscar-Chancen eingeräumt.

D ie beste Kur gegen eine Obsession ist, sie durch eine andere zu ersetzen, heißt es. Was aber, wenn nichts mehr übrig ist? Obsession als legitimere Paranoia in einem Amerika, in dem der "War on Terror“ noch lange nicht vorbei ist, mag vorübergehend als Strohhalm taugen, aber Sicherheit bietet auch sie keine. Die Destabilisierung ist nach 9/11 noch zu präsent.

Erneut macht die US-amerikanische Filmemacherin Kathryn Bigelow im Film "Zero Dark Thirty“ eine (innere oder äußere) Suche zum Thema, die in eine Jagd ausartet. Und wie schon in ihrem oscarprämierten "Hurt Locker“, ist ihr Ziel nur vordergründig offensichtlich. Nun verfilmt sie die zehn Jahre dauernde Jagd auf Osama Bin Laden, und sie rekonstruiert die Ereignisse, die in einer umstrittenen Navy-Seals-Aktion im Mai 2011 zur Tötung Bin Ladens führten, anhand der CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain).

Wir erfahren wenig über Maya, außer dass sie besessen ist von dem Gedanken, Osama zu finden. Bigelow und ihr Drehbuch-Autor Mark Boal statten sie erst gar nicht mit einer Hintergrundgeschichte aus, und dennoch ist diese Frau mehr als Antriebs-Vehikel in diesem Film. Mit ihr blicken wir ins Innerste der CIA, nämlich auf eine Figur im Kern, und was auf den ersten Blick ein Privileg scheint, in diesen Räumen zu sein, aus denen sonst nur Nachrichtenmeldungen auf die TV-Schirme gelangen, denen man ohnehin nicht mehr trauen kann, entpuppt sich schnell als Fluch.

Von der Anfangssequenz ausgehend, in dem man vor dem schwarzen Schirm Zeuge eines Telefongesprächs zwischen einer in den brennenden Twin Towers eingeschlossenen Frau und der Telefonvermittlung wird, erzählt der Film in regelrecht anti-historischer Weise von Urban Legends aus dem Verteidigungsministerium; bewusst ist alles ausgelassen, was auf ein kohärentes Motiv des Antagonisten Bin Laden schließen ließe, der während der gesamten Jagd immer ein Phantom bleibt. Die Pseudo-Exaktheit, die der Film behauptet, ist losgelöst von jedem Kontext, dennoch geht Maya von der tragischen Sicherheit aus, es mit einem tatsächlichen Feind zu tun zu haben.

Dekonstruktion einer Gewissheit

Die Dekonstruktion dieser Gewissheit vor dem einfachen Hintergrund, dass Zeit vergeht, aber auch angesichts der Mittel, die während dieser Jagd verwendet werden, ist nicht das unmittelbare Resultat von Bigelows Film, aber sie steht am Ende als Frage im Raum. In einer Szene hören wir Präsident Obama auf einem Fernsehgerät im Hintergrund sagen "Amerika foltert nicht“, und natürlich zeigt Bigelow, dass Amerika gefoltert hat - und möglicherweise foltert. Diese Szenen, in pseudo-dokumentarischem Stil, sind hart, aber sie entsprechen einer Schilderung problematischer Prozesse, die sowohl entscheidend für das US-Selbstverständnis sind als sie auch einen wunden Punkt treffen. Bigelow geht es gar nicht um die Bewertung dieser sogenannten "coercive interrogation methods“, sie stellt auch mitnichten die Behauptung auf, dass es die unter Folter erzielten Verhörergebnisse waren, die zum Fahndungserfolg geführt hätten. Es geht Bigelow um die Spiegelung der Atmosphäre jener Jahre, in denen Zweifel, Rachegefühle und Angst viel zu leicht überhandnehmen durften.

Zehn Jahre nach 9/11 kann Bigelow damit Fragen aufwerfen, die man davor noch nicht stellen hätte können. Maya, als diejenige, die sich in vollkommener Hingabe der Jagd nach dem einen Gesicht verschrieben hat, an dem Millionen von Menschen die "Achse des Bösen“ festmachten, kann - vom heutigen Standpunkt aus gesehen - folgerichtig niemals zur Heldin werden. Sie ist eine ambivalente Figur.

Religiöse Suche, quasi ein Gegen-Dschihad

Das zentrale Problem, das der Film aber damit kreiert, ist, dass sein Publikum den intellektuellen Reflexionsprozess womöglich noch nicht gegangen ist.

"Zero Dark Thirty“ wird angefeindet, aber auch beklatscht, jedes Mal womöglich aus den falschen Gründen. Denn das zentrale Element dieses Films ist seine Ambivalenz und die Tatsache, dass er dem Publikum die Verantwortung zutraut, sich selbst eine Meinung zu bilden und das nationale Trauma damit zumindest ansatzweise nun aus einer zeitlichen Distanz mental zu reflektieren. Der Counter-Terrorismus in "Zero Dark Thirty“ ist ein langes Spiel, es ist kompliziert, brutal, entmutigend, und Bigelow verweigert am Ende jegliches Anzeichen von Triumph.

Die Rechtfertigungen, mit denen Maya ihre Jagd vorantreibt ist auch gespeist davon, dass sie die Einsamkeit und Isolation mit ihrer Beute eint. "Ich glaube, ich wurde verschont, um den Job zu Ende zu bringen“, sagt sie an einer Stelle. Wer glaubt sie zu sein? Jeanne d’Arc? Wer hat sie verschont? Was bedeutet diese Maya für eine mit Angst durchsetzte Nation? Für diese Asketin wurde die Jagd nach Bin Laden zur religiösen Suche und zu einer Art Gegen-Dschihad.

Mit 9/11 wurden Gewissheiten erschüttert und grundlegend verändert. Nachdem Maya ihre Jagd erfolgreich abgeschlossen hat, hat sie nichts mehr. Erst jetzt ist die Zeit für die Zweifel am Sinn ihrer Existenz. Er breitet sich wie ein Schatten aus. Konsequenterweise ist das wahre Kunststück von Bigelows Film, dass am Ende der Tote gar nicht mehr das ist, was man in ihm sehen will.

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