Ein Erzherzog als Zigeuner-Forscher

19451960198020002020

Der habsburgische Erzherzog Josef erforschte die Sprache der Roma und verfasste die erste Romani-Grammatik.

19451960198020002020

Der habsburgische Erzherzog Josef erforschte die Sprache der Roma und verfasste die erste Romani-Grammatik.

Werbung
Werbung
Werbung

Er war einer der hervorragendsten, vielseitig gebildetsten Mitglieder des Hauses Habsburg. Die Rede ist von Erzherzog Josef Karl Ludwig, des zweiten Sohnes von Erzherzog-Palatin Josef Anton. 1833 in Pressburg geboren, zeichnete sich dieser Habsburger nicht nur auf den Schlachtfeldern als hoher Militär aus, sondern vor allem als Menschenfreund, der sich insbesondere mit dem "fahrenden Volk" beschäftigte. Während Kaiserin Elisabeth, Sisi, die Zigeuner nur zu gelegentlichen Mullatschags nach Gödöllo'' einlud, von wo sie weiterziehen mussten, siedelte Erzherzog Josef viele Roma auf seinen Landgütern Alcsut und Bankut in Ungarn an und sorgte für ihren Lebensunterhalt.

Nach eingehenden Studien verschiedener Sprachen begann um 1850 seine eingehende Beschäftigung mit Romani-Dialekten. Ein reger Umgang mit "seinen" Zigeunern war erforderlich, um linguistische Erkenntnisse zu sammeln. Vor allem ging es dem Erzherzog darum, die reine Wortsprache der Roma zu einer Schriftsprache zu wandeln, um sie späteren Generationen zu überliefern, aber auch um im sozialen Umfeld menschliche Kontakte zu intensivieren.

Sein Streben ging dahin, Roma und Sinti menschenrechtliche Gleichstellung zu ermöglichen. Deshalb wurde Josef auch zum Schirmherrn eines "Oberungarischen madjarischen Kulturvereines", was den Neid anderer Volksgruppen hervorrief, die ihn bald anfeindeten. Doch der große Zigeunerkenner ließ sich dadurch keinesfalls abhalten. Im Gegenteil, nach vieljährigen Studien brachte er eine vielbeachtete Zigeunergrammatik heraus. "Romano csibakero sziklaribe", die 1888 in Budapest erschien. Noch im Jahre 1902, drei Jahre vor seinem Ableben, durfte der Erzherzog freudig eine deutsche Ausgabe in Empfang nehmen, die gleichfalls in Budapest erschien.

Verschiedene Dialekte Die vielstrebigen Wanderbewegungen "seiner" Zigeuner brachten es mit sich, dass unterschiedliche sprachliche Eigenheiten die Arbeit Josefs erschwerten. Immer wieder ist von späteren Sprachwissenschaftlern hervorgehoben worden, wie kompliziert seine Bemühungen waren, den grammatischen Bau verschiedener Romani-Dialekte zu erfassen. Unterschiede zwischen Dialekten pannonischer und karpatischer Zigeunergruppen gab es reichlich, so etwa beim bestimmten Artikel: "die Zigeunerin" heißt bei einigen i romni, bei anderen e rokni. Wie eng auch charakteristische Eigenheiten der Zigeuner mit ihrer Sprache verbunden sind, zeigt sich in vielen Worten, die absichtlich vor den gadsche, den Nicht-Zigeunern verändert wurden. Nur dem engen Kontakt des Erzherzogs mit "seinen" Roma und Sinti war es zu verdanken, wenn auch verballhornte Worte in seiner Grammatik richtig ausgedeutet erschienen. So gelang es Josef auch, das berühmte Zigeunerlied von etlichen Rätseln zu befreien. Es lautete: Ejasz man pitanyi Luptsianskom csajonyi Oda pova lyacska Oda za halyacska.

was soviel hieß wie: Ich war auf Brautschau Bei einem Mädchen in Lupcica Bei einer kleinen Nichtstuerin, Einer kleinen Faulenzerin.

Das Verdienst des Erzherzogs lag aber auch darin, Romani-Dialekte gegen so genannte Gaunersprachen, wie Rotwelsch, Argot, Bargoens abzugrenzen, mit denen es von übelwollenden Linguisten immer wieder verglichen wurde. Diese gingen sogar so weit, das Romani als "Geheimsprache" einzustufen, um die Zigeuner als Geheimbündler zu diffamieren.

Romani und Sanskrit Noch heute kann man in etymologischen Quellen nachlesen, dass es Josefs wichtigstes Anliegen war, die sprachlichen Beziehungen und Zusammenhänge des Romani mit dem indischen Sanskrit aufzuzeigen. Denn damit wurde auch ihre indische Herkunft legitimiert. Erst vor einigen Jahren wurde von Sprachwissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften Wien festgestellt, dass "das Werk des Erzherzogs Josef verdient, vor dem Vergessen bewahrt zu bleiben". Wenn gegenwärtig von der Universität Graz an einem Wörterbuch der Romani-Sprachen gearbeitet wird, so mag dies einer späten Würdigung unseres habsburgischen Zigeunerforschers gleichkommen.

Zu danken war aber auch seiner Gemahlin, Prinzessin Klothilde von Sachsen-Coburg-Gotha. Denn sie, Mutter von sieben Kindern, half ihrem Mann eifrig dabei, den Zigeunern in Alscut und Bankut ein menschenwürdiges Dasein zu bescheren. Sie unterstützte die "Söhne des Windes", beschenkte ihre Kinder, versuchte eifrig, sie heimisch zu machen. Und hatte Verständnis dafür, dass ihr Wandertrieb sie wieder fortziehen ließ.

Dass sie dabei beide als Außenseiter in der hochgeborenen Verwandtschaft galten, nahmen sie gern auf sich. Allzu deutlich mag dem Erzherzog und seiner Gemahlin noch jener Aufruf Kaiser Karls VI. von Inner-Österreich gewesen sein, in welchem die Tötung der Zigeuner veranlasst wurde. Diese Schuld abzutragen, hat beide bis zu ihrem letzten Atemzug beschäftigt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung