Ein Künstler - und so viele Ichs

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Das Salzburger Museum der Moderne auf dem Mönchsberg widmet Dieter Roth eine umfassende Ausstellung. Seine Arbeiten sind vielfach nicht für die Ewigkeit bestimmt - daher ist man auf Nachbildungen bereits zerbröselter oder vermoderter Kunstwerke angewiesen.

Dieter Roth als Schokoladen- und als Vogelfutterbüste, Dieter Roth auf Polaroid und Video - wo man hinschaut, Selbstporträts des Künstlers, für die Ewigkeit sind sie nicht bestimmt. Sie sind dem Zerfall ausgesetzt, zerbröseln, vermodern, schimmeln, lösen sich auf. Was bleibt, ist nicht einmal mehr die schwache Erinnerung an ein Ich, das diese Bildwerke einmal hervorgebracht hat. Roth widersetzte sich, seine Arbeiten konservieren zu lassen, er wollte nicht einmal, dass der schleichende Zerstörungsprozess dokumentarisch begleitet wurde. Der vorläufige Zustand, die Momentaufnahme einer Entwicklung, musste genügen, um dem Ich gerecht zu werden. Wenn die Dieter Roth gewidmete Ausstellung im Salzburger Museum der Moderne "Selbste“ genannt wird, verweist das auf einen doppelten Umstand. Der Künstler besitzt mehr als ein einziges Ich, dieses befindet sich im Wandel, ja, der selbe Mensch verfügt über mehrere Identitäten, die in jeweils unterschiedlichen Situationen zum Vorschein kommen. Für seine Kunst bedeutet das, dass es kein Abbild des Menschen Dieter Roth oder Dieter Rot oder dieter rot - eine einzige Schreibweise des Namens war ihm zu wenig - geben kann, sondern dass der Verfall dem Menschen wie dem Kunstobjekt eigen ist. Ganz so rigide denkt man im Museum nicht. Die Ausstellung wäre in dieser umfassenden Form nicht möglich, wenn es nicht Nachbildungen schon verrotteter Arbeiten zu sehen gäbe.

Das Vanitas-Motiv

Der Zerstörungsgedanke ist gewiss von bitterer Einsicht, und doch arbeitet sich Roth dank der ihm zu Gebote stehenden Ironie aus der Misere. "Löwenselbstturm“ heißt eine Installation aus dem Jahr 1993. Auf mehreren Etagen stehen dicht an dicht - ja, was nun, eigentlich? - Dieter-Roth-Darstellungen als Löwe, hinter Glas in einem Kasten auf Rädern. So wird mit einem Heldensymbol aufgeräumt. Das klassische Vanitas-Motiv gehört von Anfang an zur Grundausstattung der Ideenwelt von Dieter Roth. Darüber hilft auch die Reproduktion des Ichs nicht hinweg. Hundert Schokolöwen-Roths zerfallen, aber immerhin auf individuelle Weise. Das passt zu den Schablonen-Köpfen von 1965. Ein auf Papier gestempelter Kopf reiht sich an den nächsten, ein Ich entspringt einem anderen, aus einer wilden Folge gleicher Formen entwickelt sich ein serielles Ich mit Abweichungen. Und doch entstehen zwischen den Werken mit programmierter Ablaufzeit Bilder in Öl, Siebdrucke, Bleistiftzeichnungen, die sich der Vergänglichkeit widersetzen. Es gibt nicht den einen Dieter Roth, diese einander ausschließenden Haltungen müssen in einem Konzept der wechselnden Identitäten zusammen existieren. Gerade noch durfte man sich mit Befriedigung an der Kontinuität von Ideen festhalten, schon tilgt Roth das eine Ich durch ein anderes.

Nichts Erhabenes, nichts Schönes …

Für die Biennale in Venedig 1982 stellte er im Verlauf eines halben Jahres eine riesige Menge von Super-8-Filmen her, in denen er sein "täglich stattfindendes Gelebe“ dokumentierte. Das war der Beginn einer Selbstbeobachtung, die im Riesenprojekt "Solo Szenen“ von 1997/98 kulminierte. Auf 128 Monitoren gibt es Roth in den banalsten, alltäglichsten Situationen zu sehen. Der Künstler, ein durch und durch durchschnittlicher Massenmensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Nichts Erhabenes, nichts Schönes, nichts Großes, das Leben eines alternden Mannes, der es nicht nötig hat, sich selbst in Pose zu werfen, ist das Kunstwerk.

Den späten Roth - er stirbt 1998 im Alter von 68 Jahren an Herzversagen in Basel - muss man sich als einen Besessenen vorstellen. Sein Denken, sein Arbeiten, seine Tagebuchaufzeichnungen kreisen um das eigene Ich, die Welt ist ihm eng geworden. Beschwerden setzen ihm zu, der Körper macht dem schweren Mann zu schaffen. Und dann setzt er einen zeichnerischen Kontrapunkt, porträtiert sich 1991 als "Fettmops im Walde“ in lichten Tönen, wischt den Bedrängnissen seiner Existenz noch einmal eins aus. Tänzelnd und leicht bewegt er sich durch eine heitere Szenerie, die mit seinem Alltag nichts zu schaffen hat. Hier die gefilmte Schwermut, dort die inszenierte Leichtigkeit. Der Künstler verfügt über die schöne Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Dieter Roth: Selbste

Museum der Moderne Mönchsberg

bis 24. Juni, Di-So 10-18, Mi bis 20 Uhr

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