Erinnerungskultur ohne Bühnendenkmal

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Regisseurin Stephanie Mohr geht mit Felix Mitterers Stück "Der Boxer" bei der Uraufführung in der Josefstadt k.o.: Zu viele Klischees.

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Regisseurin Stephanie Mohr geht mit Felix Mitterers Stück "Der Boxer" bei der Uraufführung in der Josefstadt k.o.: Zu viele Klischees.

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Schnelle Rhythmen begleiten das Training von Johann "Rukeli" Trollmann. Der so ambitionierte wie talentierte Amateurboxer ist Anfang der 1930er-Jahre der Muhammad Ali seiner Zeit. Und tatsächlich hat seine Wendigkeit und Anmut im Ring Ähnlichkeiten mit Alis Stil. Tänzelnde Schritte, gefinkelte Manöver und blitzschnelles Reaktionsvermögen zeichnen den deutschen Meister im Boxen von 1933 aus. Dass sein Erfolg lange Zeit in Vergessenheit geraten ist und sein Meistertitel erst 70 Jahre später anerkannt wurde, steht stellvertretend für eine Erinnerungskultur, die viel zu lange die Verbrechen an Roma und Sinti während der Zeit des Nationalsozialismus ausblendete. Erst ein Dokumentarfilm machte 2013 auf das Schicksal Rukelis und seine Ermordung im KZ Neuengamme aufmerksam. Felix Mitterer hat im Auftrag des Theaters in der Josefstadt die Geschichte des Sinto-Boxers Trollmann in ein Bühnenstück verwandelt. Gemeinsam mit "Du bleibst bei mir" über die Schauspielerin Dorothea Neff und "Jägerstätter" über den österreichischen Wehrdienstverweigerer, die beide Mut und Zivilcourage im Widerstand gegen das Hitlerregime zeigten, steht "Der Boxer" in einer Reihe von Erinnerungsstücken an die Opfer des Nationalsozialismus, die Mitterer in den letzten Jahren verstärkt für die Bühne schreibt.

Faustkampf auf Leben und Tod

Gregor Bloéb schlüpft -wie schon zuletzt bei Jägerstätter - in die Hauptrolle, er verkörpert Rukeli als einen gewitzten, aber naiven Muskelprotz. Regisseurin Stephanie Mohr ertränkt Mitterers Werk in einem Meer aus Klischeebildern. Gleich zu Beginn schwingt Bloéb leichtfüßig die Seilschnur im Takt der Musik. Noch kann er den Nazischergen im Boxverein Paroli bieten, das Publikum und vor allem die Frauen liegen ihm zu Füßen. Auch seine Familie will das drohende Unheil nicht wahrhaben - selbst als der aalglatte Eugeniker Robert Ritter (Dominic Oley) bereits Blutproben und Gesichtsvermessungen anstellt. Rukelis Mutter liest dem Nazi aus der Hand, der Vater hat sich einen Jägerhut auf den Kopf gesetzt und der älteste Sohn ist der Partei beigetreten. Doch bald kämpft die Familie Trollmanns, wie Millionen andere "Nicht-Arier" ums Überleben. Rukeli muss seine schwangere Frau verlassen, wird zwangssterilisiert und in die Wehrmacht eingezogen. Als er von der Front zurückkehrt ist seine Familie bereits verschleppt, und Frau und Kind leben in ständiger Angst vor der Deportation. Im Konzentrationslager trifft er auf seinen Boxgegner Reinhard Wolf (mit einer beängstigend starken Bühnenpräsenz: Raphael von Bargen), der nun als Lagerkommandant auftritt und Rukeli in grausame Faustkämpfe auf Leben und Tod zwingt. Die Boxszenen hat Mohr gut gelöst, sie verzichtet auf den Kampf Mann gegen Mann, sondern lässt stattdessen Sandsäcke vom Schnürboden hängen auf die die Kontrahenten einschlagen. Adornos vielzitierter Satz "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch" lässt einen gedanklich im zweiten Teil nicht mehr los, denn es gibt auch nichts zu zeigen, das auch nur annähernd die Gräueltaten darzustellen vermag.

Unverhältnismäßig viele Hasstiraden

Mohr behält jedoch auch in diesem Teil ihren realistischen Stil bei und bringt Leben und Sterben im Konzentrationslager auf die Bühne. Surreal anmutende Traumpassagen sind in die letzten Szenen eingewebt. Gerade diese Vermischung zwischen dem Bemühen eines uneinlösbaren Realismus, der allzu oft ins Klischeehafte abfällt, und einer märchenhaften Überformung belässt das Stück in einer leicht konsumierbare Distanz zum Publikum. Problematisch ist auch die unverhältnismäßige Aufteilung der Redezeit. Während Rukeli im Laufe des Stücks wenig Zeit zum Erzählen bekommt, haben seine Peiniger immer öfter und länger Gelegenheit, ihre NS-Rechtfertigungs-und Hasstiraden auszubreiten. Wozu? Schließlich lautete das Anliegen, einem herausragenden Sportler und Menschen ein Bühnendenkmal zu setzen und nicht Täterschicksale auszubreiten. Man wünscht sich, mehr über Trollmann erfahren zu haben, leider bietet dieser Premierenabend dazu wenig Gelegenheit.

Der Boxer

Theater in der Josefstadt

12., 14., 15., 19., 20. Februar

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