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"Die Brüder Karamasow" am Akademietheater: Die Konflikte bleiben unklar.

Es mag an Dostojewkis anschaulichem Denken und Erzählen liegen, dass heutige Regisseure seine Romane auf die Bühne bringen. Allen voran Frank Castorf, dem es gelang, die Figuren als Ideologieträger herauszuarbeiten und diese an der Gegenwart zu überprüfen.

Nun hat Nicolas Stemann - vor allem bekannt durch seine stilbildenden Jelinek-Inszenierungen - eine Bühnenbearbeitung der "Brüder Karamasow" vorgestellt, in der er alle Mittel des Theaters einsetzt und an ihr Extrem führt.

Damit wird der Abend kurzweilig, weil es viel zu sehen und bestaunen gibt: Überdimensionale Puppenhäuser eröffnen eine Simultanbühne (Bühne: Katrin Nottrodt), so dass mindestens fünf Schauplätze zugleich aktiv sind. Auffahrende und gespiegelte Bühnenschrägen markieren den Vatermord und den Verlust des inneren Gleichgewichts, ein Knabenchor im Kerzenlicht schafft mystisch-feierliche Stimmung. Zugleich desavouiert Stemann das Theater stets als Ort der Illusion und Idylle. Bühnenarbeiter bauen während wesentlicher Monologe die Kulisse ab, der Pianist wird in Wiederholung mit Küsschen begrüßt, eine Fensterfassade und Vogelgezwitscher deuten einen heilen Raum an, der in unmittelbarer Folge zerstört wird.

Das zeugt alles von gutem Handwerk und gelungener Publikumsunterhaltung, es passt in den aktuellen Diskurs um ethisches Handeln und Identitätskonzeptionen vor der Folie des Glaubens.

Aber Stemanns szenische Auflösung hat keine Tiefe, sie verhandelt in ironie- und geschichtsfreiem Raum Dostosjewkis Fragen nach Schuld und Sühne gebrauchsfertig und alltagswarentauglich als Krimi und Soap-Opera. Der alte Karamasow etwa wird von Martin Schwab als hedonistischer Zottelbär gespielt, er ist ein verhinderter Rocksänger, der Tschaikowski grölt. Seine Söhne Dimitri (Philipp Hochmair als überreizter Mafioso), der Novize Aljoscha (Sebastian Rudolph naiv in kurzen Hosen und ganz auf sein Leben im Kloster eingestellt), der Skeptiker Iwan (von Joachim Meyerhoff allzu kontrolliert und auf unangenehme Weise in Distanz zur Figur) sowie der Halbbruder Smerdjakow (Thomas Lawinky als hinterlistiger Epileptiker, der zwischen List und einfacher Gier changiert) bilden zwar eine imposante Runde, der Konflikt bleibt bei Stemann jedoch unklar. Da sind die von der eleganten Katerina Iwanowna (Adina Vetter) geborgten 3000 Rubel sowie ihre Liebe zu Dimitri und/oder Iwan, da ist Gruschenka, bei Stemann heilige Hure (Myriam Schröder, die Aljoscha am Totenbett des Starez verführt).

Dostojewskis religiös-philosophische Fragen bleiben an der Oberfläche einer Familiensoap. So nimmt Stemann auch der Rolle des Starez Sosima (Rudolf Melichar mit sichtbar aufgeklebtem Bart und als Leiche in lächerlicher Unterwäsche) seine Bedeutung. Leider verrät die Regie die Dostojewski'schen Figuren, weil deren Verzweiflung und Gottesfragen nicht als echt formuliert sind, sondern als Schablone eines zynischen Blicks auf die Gegenwart fungieren.

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