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„Vista Mare“: Die gut geölte Maschine namens Tourismus

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Der Dokumentarfilm „Vista Mare“ bewegt sich an den Stränden der Adria, zwischen Lignano und Riccione.

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Der Dokumentarfilm „Vista Mare“ bewegt sich an den Stränden der Adria, zwischen Lignano und Riccione.

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Zwischen der Urlaubswelt, wie wir sie kennen, und der Arbeitswelt, die sie ermöglicht, liegt in „Vista Mare“ maximal ein Schnitt. Der Dokumentarfilm von Julia Gutweniger und Florian Kofler bewegt sich an den Stränden der Adria, zwischen Lignano und Riccione – nur unweit von Venedig, doch so weit, dass die Lagunenstadt lediglich einen Auftritt als Fahrgeschäft hat: Ein paar des Sonnens müde Urlauber dümpeln, untermalt von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ aus dem Lautsprecher, durch eine nachgebaute Fassadenlagune.

Unmittelbar dahinter: Laubwerk und, wenig lagunenhaft, Personal, das einen Fahrweg entlang radelt. Auch das eigentliche Zentrum der Betrachtung, der Strand, findet sich dort als Miniaturversion, und wie am realen Vorbild muss an ihm geschraubt werden.

Gerahmt von einem durchaus dystopisch-minimalistischem Soundtrack verfolgen Gutweniger/Kofler den Jahreslauf der Tourismusmaschine: von den Vorbereitungsarbeiten, wenn Badeplätze aufgeschüttet, Sonnenschirme auf Funktion getestet oder Arbeitskräfte angelernt werden, über den Betrieb in der Hochsaison bis hin zum Einmotten im Herbst. Mit anthropologischem Blick widmen sie sich den Schritten, die das nur in panoramischen Einstellungen festgehaltene Massenvergnügen ermöglichen: der Zimmerreinigung und den Handgriffen in der Wäscherei, der Wartung und Befüllung von Automaten in einer Spielhalle, dem Zusammenbau des Eiswagens, damit der Mitarbeiter umherziehen und nasal schnurrend sein „Coccobello!“ anpreisen kann.

„Vista Mare“ untersucht die Funktion dieser Maschinerie beziehungsweise dokumentiert die Eingriffe, die alles im Fluss halten – selbst die Badegäste in ihren Schwimmreifen. Der Ernstfall wird geprobt, wird antizipiert. Die Rädchen in dieser Maschine, das Heer der Saisonkräfte, bleibt namenlos, doch sickern bei aller dokumentarischer Distanz immer wieder vielsagende menschliche Momente durch.

Damit verfolgen die Filmemacher konsequent den Weg, den sie mit ihren sehenswerten ersten langen Arbeiten „Brennero/Brenner“ und „Sicherheit123“ eingeschlagen haben. Auch bereiten sie in dieser Form ein vielschichtiges Feld für die Diskussion, was genau diese Maschine ausmacht und was der Preis dafür ist – und das nicht erst durch die Szenen einer Gewerkschaftsdemo gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen, die irgendwo am Rand eines dieser Orte durch die Straßen zieht, sorgsam begleitet von den Carabinieri und wahrgenommen nur von einer Handvoll Gäste, bis sie wieder wie ein Spuk verschwindet.

Kein Ernstfall – die gut geölte Maschine namens Tourismus fließt weiter.

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