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Keine Tourismusmaschine

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Im vergangenen Jahr hat auch Bayern, das gewichtigste Fremdenverkehrsland der Bundesrepublik, Rückschläge im Tourismusgeschäft hinnehmen müssen. Zwar sind die Übernachtungen rtoch von 61 auf 63 Millionen in den statistisch erfaßten Betrieben angestiegen und Ostbayem sowie Franken hatten auch insgesamt ein zufriedenstellendes Wachstum aufzuweisen, aber die Ankünfte in ganz Bayern fielen doch von 11,4 auf 11,3 Millionen zurück, bedingt vor allem durch die sinkende Zahl der Auslandsgäste. Deren Anteil betrug 1974 nur noch 15 Prozent. Das Gros stellten dabei noch immer die Amerikaner, gefolgt von den Holländern, Franzosen und Österreichern. Insgesamt wird der reale Umsatzrückgang für 1974 in Bayern mit zwei bis drei Prozent veranschlagt. Als Gründe nennen die Sachverständigen neben der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession insbesondere das schlechte Wetter, die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die Verteuerung der Mark — welche Ausländer abschreckte und manchen Inländer zur Auslandsreise animierte — sowie die allzu optimistisch ausgebaute Beherbergungskapazität. Allein in München wurde

die Zahl der Betten von knapp 19.000 im Jahr 1970 auf 26.000 im Jahr 1974 vergrößert; ihre Auslastung fiel im gleichen Zeitraum von 59 auf 43 Prozent. Das traditionsreiche Regina-Palast-Hotel hat seine Tore Ende März für immer geschlossen und auch das renommierte Hotel Continental sucht bereits Rückendeckung in einer Hotelkette.

Angesichts dieser alarmierenden Situation sind nun verschiedene Maßnahmen angelaufen, die — getragen vom rührigen Wirtschaftsministerium und den vier wichtigsten Fremdenverkehrsverbänden — eine Tendenzwende einleiten sollen. Schwerpunkt bildet dabei eine mit beachtlichen Mitteln verstärkte Investition- und Werbeanstrengung im In- und Ausland, wobei auch der neue 23-Minuten-Werbe£ilm „Weiß-Blau“ eine Rolle spielt. Schon 1973/74 hatte der Staat mit 3,3 Millionen Mark zum Werbeaufwand beigetragen. Auftrieb erhofft man sich vor allem vom Zweitarlaub und von der vermehrten Nutzung der zahlreichen. Heilbäder, auf die 1974 bereits ein Drittel aller in Bayern registrierten Übernachtungen entfallen waren. Einen gewissen Anreiz soll außerdem die in Aussicht

gestellte Abschaffung der Getränkesteuer schaffen. Auch das im Frühling des vergangenen Jahres verabschiedete Fremdenverkehrsförde-rungspragramm der Staatsregierung beginnt, seine Wirkungen zu zeigen.

Diese großen Anstrengungen von privater und öffentlicher Seite erklären sich nicht zuletzt aus dem hohen Stellenwert, den der Fremdenverkehr kn Rahmen der bayrischen Wirtschaft einnimmt. Der Freistaat ist mit 29 Prozent an der Gesamtzahl aller in der Bundesrepublik registrierten Übernachtungen und mit etwa 25 Prozent am gesamten Fremdenverkehrsumsatz beteiligt, was einem Volumen von rund 7 Milliarden Mark im Jahr entspricht. Ungefähr 5 Prozent des bayrischen Bruttoinlandsprodukts stammen daher aus dem Fremdenverkehr. Direkt oder indirekt dürften in Bayern fast 300.000 Arbeitsplätze von der weißen Industrie abhängig sein. Zur Zeit stehen hier den Gästen rund 520.000 Betten in 12.300 gewerblichen Beherbergungsbetrieben und bei 38.500 Privatmietera zur Verfügung.

Die bis Ende Februar vorliegenden Zahlen für das Winterhalbjahr 1974/75 lassen den Schluß zu, daß der „vorsichtige Optimismus“ der zuständigen Stellen für die weitere Entwicklung gerechtfertigt ist. Die Ankünf te seit Oktober haben gegenüber den Vorjahrswerten wieder um 3 Prozent und die Übernachtungen um 10 Prozent zugenommen; auch bei den Ausländerankünften läßt sich eine leichte Zunahme von einem Prozent verzeichnen. Der Staatssekretär im bayrischen Wirtschaftsministerium, Sackmann, nannte kürzlich drei Punkte, von denen Stabilisierung und gemäßigter Aufschwung des bayrischen Fremdenverkehrs im wesentlichen abhängig seien: Vorsichtige Preispolitik, damit der Urlaub „preiswert“ bleibe; vermehrte Vorsorge für persönliche, individuelle Behandlung im Zeitalter des Massentourismus und schließlich die Betonung der besonderen Art bayrischer Gastlichkeit gegenüber dem technisch perfekten, aber manchmal steril anmutenden Angebot mancher „Tourismusmaschinen“.

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