Friedhofsfest oder: Der Tod ist eine Feier aus Lettland

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Alvis Hermanis und sein Jaunais Rigas Teatris enttäuschen mit „Kapusvetki“ bei den Wiener Festwochen. Das Stück ist der Abschluss eines insgesamt zehnteiligen Zyklus, in dem sich der Regisseur der Erkundung der Vergangenheit und Gegenwart seiner Heimat widmet – ein fröhliches, aber etwas langweiliges Finale.

Spätestens seit 2003, als er mit seinem Jaunais Rigas Teatris bei den Salzburger Festspielen mit Gogols „Revisor“ Publikum und Presse begeistern konnte, ist der lettische Regisseur Alvis Hermanis erklärter Liebling vieler Theaterintendanten und Festivalleiter. Derzeit ist Hermanis der wahrscheinlich gefragteste Regisseur Europas. Kaum mehr gibt es ein renommiertes Theater oder ein größeres Festival, das ohne einen Beitrag von Hermanis auskommen will. Wie selbstverständlich ist er seit Jahren Gast auch bei den Wiener Festwochen.

Anders aber als als Gastregisseur im Ausland, inszeniert er mit seinem Neuen Theater Riga, das er seit nunmehr zwölf Jahren leitet, kaum mehr Stücke. Ihn interessieren vielmehr Themen. Und die findet er überall, in Romanen, in Filmen, in Musikstücken oder bevorzugt ganz einfach im Leben.

Seit mehr als sieben Jahren entwickelt er ein ehrgeiziges Projekt, eine Art szenische Erkundung der Vergangenheit und Gegenwart seiner Heimat und deren Identität, um die er sich für die Zukunft sorgt. Dieser zehn Teile umfassende Lettland-Zyklus, bei dem es sich genau genommen um eine ethnografische Entfaltung des Seelen- und Alltagsleben seiner lettischen Landsleute handelt, begann 2003 mit dem Stück „Gara dzive – Langes Leben“ und wurde nun im Rahmen der Festwochen mit der Uraufführung von „Kapusvetki – Friedhofsfest“ zu einem mehr fröhlichen als traurigen und leider auch etwas langweiligen Abschluss gebracht.

Feucht-fröhliche Traditionen

In einem bühnengreifenden Halbrund sitzen die dreizehn Schauspieler und mimen undramatisch Friedhofsmusiker. Mit ihren Trompeten, Hörnern und mächtigen Posaunen sitzen sie hinter den Notenständern und sprechen in lakonischem Ton von den letzten Dingen und noch mehr den alten Zeiten, als es noch möglich war, ein Auskommen als Friedhofsmusiker zu finden. In zahlreichen Anekdoten machen sie die meist feucht-fröhliche lettische Tradition des Friedhofsfests zum Thema, erinnern an ihre sentimentalen oder komischen Seiten: etwa als die Blechblaskapelle so lange spielen musste, bis die zu kurz ausgehobene Grube die erforderliche Länge hatte, was dem Vernehmen nach Stunden dauerte. Auch skurrile Geschehnisse kommen zur Sprache: Wenn sich Zigeuner weigerten, die Musik zu bezahlen, mit der Begründung, sie hätte ja nicht für sie, sondern für den Toten gespielt, oder die sportiven Begleiterscheinungen des Totengedenkens, das zum Wettbewerb ausartet. Gelegentlich spielen sie Stücke aus dem Repertoire lettischer Grabmusik, wobei deutlich zu hören ist, dass sie Musiker nur spielen. Begleitet werden die Erzählungen und Musikeinlagen durch die auf eine riesige Leinwand projizierten Bilder des Fotografen Martins Grauds, der seit vielen Jahren das Treiben auf den Friedhöfen zwischen Riga, Wien und Mexiko-Stadt festhält.

„Kapusvetki“ ist unpathetisch, szenisch schlicht und entspricht in dieser Schlichtheit vielleicht dem Thema. Und doch wird man den Verdacht nicht ganz los, dass dem viel beschäftigten Hermanis auch etwas die Zeit fehlte, neben all den anderen Verpflichtungen.

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