Kuscheln, lieben, träumen – der ferne Klang

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„Sound of Silence“ bei den Salzburger Festspielen: Alvis Hermanis nimmt die Zuschauer mit auf eine Zeitreise, indem er das Lebensgefühl der 68er-Generation wieder aufleben lässt. Zwei Dutzend Simon & Garfunkel-Songs hat er mit seinem Janaus Rigas Teatris zu einem nostalgischen, gefühlsbetonten Theaterabend verdichtet, dem man sich kaum entziehen kann.

Seit er 2003 bei den Salzburger Festspielen mit seiner Version von Nikolai Gogols „Revisor“ den Young Directors Award gewann, ist der 1965 im lettischen Riga geborene Regisseur Alvis Hermanis gern gesehener Gast bei zahlreichen nationalen und internationalen Festivals. Das hat nicht nur mit der poetischen Qualität seines Theaters, seiner feinen szenischen Phantasie zu tun, die öfters ganz ohne Worte auskommt und so praktischerweise überaus Festival- kompatibel ist, sondern vor allem auch mit dem, was die Neue Zürcher Zeitung als die „neue Ästhetik der Menschlichkeit“ bezeichnet hat. Wo im aktuellen Theater immer weniger Menschen vorkommen zugunsten abstrakter Ideen, die in Textflächen eingebettet werden, setzt Hermanis ganz auf die Darstellung von Menschen. Nach eigener Aussage geht es ihm nicht darum, politisch zu belehren, sondern dem Zuschauer eine Intimität zu bieten und Gefühle in ihm auszulösen. Aus diesem Grund gilt er wohl als der Spezialist, wenn es darum geht, das Publikum mit einem wattigen Theaterwohlgefühl zu umhüllen.

Und welches Thema wäre besser dafür geeignet als der Aufbruch der Blumenkinder der 68er-Generation, als die Utopie einer besseren Welt mit Slogans wie „Make love, not war“ oder einfach durch psychedelische Musik herstellbar schien? Mit seinem schon im November 2007 bei den Berliner Festspielen uraufgeführten „Sound of Silence“ nimmt uns Hermanis mit auf eine Zeitreise, indem er das Lebensgefühl jener Jahre wieder aufleben lässt. Zu zwei Dutzend Songs des amerikanischen Folk-Rock-Duos Simon & Garfunkel hat Hermanis mit seinem Janaus Rigas Teatris (Neues Theater Riga), dessen Intendant er seit 1997 ist, kleine Miniaturen erarbeitet, der Nummernlogik folgend aneinandergereiht und so zu einem epischen, nostalgischen, gefühlsbetonten Theaterabend verdichtet, dem man sich kaum entziehen kann.

Realexistierende Mangelwirtschaft

Für dieses „Konzert von Simon & Garfunkel 1968 in Riga, das nie stattgefunden hat“, wie das Stück im Untertitel heißt, hat Monika Pormale eine die ganze Breite der Perner-Insel einnehmende Cinemascope-Bühne gebaut, die fünf Zimmer einer schäbigen studentischen Wohngenossenschaft in der realexistierenden Mangelwirtschaft des sowjetischen Riga der sechziger Jahre darstellen soll. Dort begegnen uns, stumm und trotzdem beredt, sieben Girlies und ebenso viele coole Jungs im typischen Look der Zeit, auf der Suche nach ein wenig Freiheit in einem repressiven Staat. Wie überall auf der Welt bestand das private Glück auch dort im Suchen und Finden des Partners. Umspült vom Sound of Love, Peace and Happiness, der die Sehnsucht erst so richtig zu entfesseln schien, üben sich die Figuren drei Stunden lang im Tanzen, Schmusen und Küssen, riskieren waghalsige Drogenexperimente, machen erste sexuelle Erfahrungen, bis sie schließlich selber Eltern werden.

Wichtigste Requisiten in dem heiteren, stummen Spiel sind Antennen und Einmachgläser. Es werden keine Mühen gescheut, mit ersteren die illegale, aber glücksverheißende Westmusik zu empfangen, was Hermanis in eine ebenso poetische wie groteske Choreografie übersetzt, während die Einmachgläser das nur allzu vergängliche Glück für das Überleben in der Zeit konservieren sollen. Gleich die erste Szene zeigt, wie das Frühlingserwachen nicht ohne Schwierigkeit und Wehmut geht. Statt der eindeutigen Einladung einer verführerischen reifen Frau zu folgen, klammert sich der offenbar unerfahrene junge Mann an sein rotes Spielzeugauto, als ob er etwas Unwiederbringliches verlieren würde, während aus dem Off die Liedzeile „If I could“ aus dem Song „El Condor Pasa“ ertönt. Der Abend ist eine wehmütige Erinnerung an die Zeit, als das Glück wenigstens einen Song lang Dauer hatte.

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