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Beschwörung gegen Resignation

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Die Tatsache, daß Ryzard Kapuscinski den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, spricht nachdrücklich für diese Institution. Nun ist Ryzard Kapusciiiski ein Schriftsteller besonderer Art: er schreibt aktuelle Essays, Artikel und Bücher, wobei das ktirzlich erschienene Werk „Imperien, Sowjetische Streifzüge" (Eichbom Verlag, Fraiikfurt/Main) für uns von aufregender Wichtigkeit ist.

Gewiß, man liest täglich Berichte über die schwierigen Verhältoisse im Bereich der GUS imd wird langsam müde von dem Pessimismus, den sie verbreiten. Das Riesenreich im Zerfall, der Subkontinent bedroht von lagernden Atombomben, von unzulänglichen Atomkraftwerken, von ruinen-haften Fabriken, gigantischen Müllhalden voller Gift, vor allem aber durch eine grauenvoll deformierte Mentalität seiner Bewohner.

Der Pole Ryzard Kapusciiiski keimt die Russen seit 1939, spricht ihre Sprache perfekt, hat viele Male weite Teile des großen Reiches bereist. Er lernte unzähhge Menschen - bis an die Ostgrenzen des Landes - kennen, bewegte sich unter mühsamsten Umständen in deren IVIilieu und nahm alle kaum erträglichen Zwischenfälle, Pannen, Strapazen auf sich, von denen sich der verwöhnte westliche Staatsbürger auch bei kühnster Phantasie keine Vorstellung machen kann. Diese Reisen lesen sich manchmal wie Forschungsberichte vom Nordpol oder aus der Sahara im vorvergangenen Jahrhundert. Dazu kommen noch die diabolischen Massen-vemichtungen und deren Folgen durch Genossen Stalin. Die Ziffern, die Kapusciiiski so nebenher nermt, lassen erstarren: von 1918 bis 1958 kamen an den Fronten, in den Lagern und Gefängnissen insgesamt 110,7 Millionen Sowjetbürger ums Leben.

Seine Schilderung eines Besuches an der Stelle eines der fürchterlichsten Arbeitslager der UdSSR, nämlich in Kolyma, sollte mehrmals gelesen werden. Ryzard Kapuscinskis Buch ist ein Memento und eine Beschwörung: jeder sollte diese Seiten kennen, die Müdigkeit, Gleichgültigkeit und Resignation verjagen.

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