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Der Scheich von Tebourba

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„Drunt in der Lobau ...“ Das hätten sich die Wasser-, Luft- und Sonnenbadenden und auch die vielen Sänger des gefühlvollen Liedes vom „wunderschönen Platzerl“ gewiß nicht träumen lassen, daß ihre Lobau noch einmal Objekt einer erdballumspan-nenden Politik werden und die Regierungen von Washington, London und Moskau beschäftigen würde. Wohl hat die Lobau schon einmal eine weltgeschichtliche Rolle gespielt, in jenem Schicksalsjahr 1809, als Napoleon, dessen Mythos der Unbesiegbarkeit damals den ersten Stoß erlitt, sein Heer auf der Lobauinsel zusammenzog, während drüben bei Aspern die österreichische Armee unter Erzherzog Karl stand. Damals war Österreich eine der beiden streitenden Mächte und die bewundernde Anteilnahme von ganz Europa verfolgte den Kampf seiner tapferen Regimenter gegen den korsischen Cäsar. An dem diplomatischen Notenkrieg aber, der heute die Blicke der Staatsmänner von Moskwa, Themse und Potomac nach der Donau lenkt, ist Österreich nicht mehr als Akteur, sondern leider nur mehr als Objekt beteiligt. Denn bei der Auseinandersetzung, in der die USA und England gegen die Übernahme der Lobauer Ölraffinerie durch sowjetrussische Militärbehörden protestieren, geht es ja im Grunde um unser Erdöl. Österreich, das gewiß gerne auf dieses rege weltpolitische Interesse an der Lobau verzichten würde, befindet sich so in der gleichen Lage wie vor fünf Jahren ein anderer, allerdings wesentlich bescheidenerer ölproduzent, der Scheich von Tebourba, einem kleinen Ort westlich von Tunis.

Dort waren im November 1942, in einem Hain von Ölbäumen, zum erstenmal in diesem Krieg Amerikaner und Deutsche aufeinandergestoßen. Als der Besitzer des

ölhains, besagter Scheich, sich einige Tage später den durch die Kampfhandlungen angerichteten Schaden besah, strich er sich mit dem philosophischen Gleichmut des weise-Hadschi den Bart und meinte kopfschüttelnd: „Das ferne, große Amerika und das ferne, große Deutschland — und ausgerechnet meinen Grund in der ganzen Welt haben sie sich aussuchen müssen, um ihre Streitigkeiten auszutragen.“

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