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Drunt' in der Lobau...

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DER SCHLAGER IST ALT - so an die dreißig Jahre: „Drunt' in der Lobau“ —, als noch Strecker die Hannerl Elßler am Klavier begleitete und die Zuhörerschaft in jenen Zustand leicht gerührter Herzen verfiel, die nun einmal den Wienern eigen. „Wo die Donau mit silbernen Armen umschlingt 's letzte Stückerl vom träumenden Wien...“ beginnt der Text. Und dann war von der Nachtigall die Rede, die noch dort singe, von der Amsel, die im Grünen niste, von der Einsamkeit, vom Blütenduft, der in der Lobau „so eigen“ sei, von den Veilchen in der Au. .. In den zwanziger Jahren war eben die Erinnerung an das förmlich neugewonnene Paradies links der Donau noch lebendig, das im Jahre 1918 die Gemeinde Wien mit dem oberen Teil, der 13 58 Hektar umfaßt, erhielt. Schon zu Zeiten der Monarchie hatte ein Teil der Lobau der Gemeinde gehört, der Rest dem Kaiser, der aber im ganzen Gebiet das Jagdrecht ausübte. Schon damals ist die Bedeutung dieses „zweiten Praters“, wie man die Lobau nannte, erkannt worden. Im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende erfaßte Bürgermeister Dr. Karl Lueger bereits die Wichtigkeit dieses, von dichten Wäldern, glitzernden Wasserläufen, großen blühenden Wiesen als eine Terra incognita dahinschlummernden Gebiets und zog es in den Bereich des Wald- und Wiesengürtels ein. 1902 war der Winterhafen, 1905 der Marchfeldschutzdamm gebaut worden, und damit, wenn v ir noch die Eröffnung der Städtischen Elektrizitätswerke 1902 und die Inbetriebnahme des Gaswerks 1908 in Rechnung ziehen, ein gewisser Entwicklungsweg abgesteckt worden, den nur der projektierte Donau-Oder-Kanal unterbrach, der etwa iri der Mitte der Lobau, gegenüber von Mannswörth, einmünden sollte.

DER NAME LOBAU leitet sich in der ersten Silbe von lo, althochdeutsch für Wald, ab — siehe die stammverwandten Bezeichnungen bis in den Raum von Raasdorf (4 km nordöstlich von Eßling) dem bayerischen Kloster Weihenstephan, das es 1030 an das Bistum Freising abtrat. Das blieb bis zur Säkularisation des Bistums 1803 so — wenn auch jahrhundertelang fortwährend über das Jagdrecht zwischen der Krone und dem Bistum gestritten wurde. Kaiser Franz pachtete die Jagd und kaufte die nördliche Lobau. Späterhin ist die obere Lobau weitgehend kultiviert worden, Wälder fielen, über einstige Wiesen ging der Pflug. Die landwirtschaftliche Nutzung überwog — es sind über 400 Hektar Aecker, auf denen der Weizen gedeihen konnte. Nebennutzung bringen rund 800 Hektar Wald und natürlich die Jagd. Die untere Lobau, besonders reich an Wasserarmen, welche der Hubertusdamm vom Strom trennt, umfaßt 1400 Hektar, davon sind ein Siebentel Wasserläufe. Bis zum Krieg war der Wildbestand (Hochwild) ansehnlich. Der Einschnitt der unmittelbaren Nachkriegszeit ist dank der aufopfernden Arbeit des Forstpersonals bald überwunden worden. Ueberhaupt steckt in der ganzen Lobau, ob wir nun die landwirtschaftlich genutzten Flächen betrachten oder die Forste, ein tüchtiges Stück Arbeit.

DIESE ARBEIT SOLL AUSGELÖSCHT WERDEN. Die Öffentlichkeit hat überraschend erfahren, daß die Hafendirektoren von Basel, Regensburg, Köln und Duisburg für den Beginn des Monats April (durchaus kein Aprilscherz!) nach Wien eingeladen wurden, um ihre Ansicht über den Ausbau des Wiener Hafens kundzutun. Im Anschluß daran sollen Fachleute die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Hafens untersuchen und die Lobau soll als Industriegebiet aufgeschlossen werden. Die Summen, die dafür aus- oder hinausgeworfen werden sollen, schätzt man auf rund 100 Millionen Schilling. Für diese hundert Millionen gedenkt man einen einzigartigen Naturpark - neben dem Wienerwald und dem Prater eine Lunge der Großstadt — zu opfern. Es wird allen Ernstes behauptet, daß die Linzer Stickstoffwerke noch heuer mit dem Bau einer petrocheniischen Industrieanlage in der Lobau beginnen wollen. In der Tat kann der Besucher der Lobau schon heute Vermessungsarbeiten beobachten. Neben den Stickstoffwerken sind Oelhandelsfirmen. die mit der Einfuhr ausländischer Mineralölprodukte befaßt sind, in erheblichem Maße an dem „Unternehmen Lobau“ interessiert. Der bereits bestehende Tankerhafen und das Oellager Lobau sollen eine Erweiterung erfahren. Die Gemeinde Wien hat bereits heuer für den Ausbau des Oelhafens 26 Millionen Schilling bereitgestellt. Zunächst werden Rodungsarbeiten durchgeführt, dann folgen Planierungsarbeiten sowie der Bau von Straßen und Bahngeleisen. Ansätze zu solchen Bauten sind im Verlaufe der Kriegsereignisse gemacht worden, wo man nicht nur eine Bahnstrecke von Stadlau her als Zufahrt zum Oellager legte, sondern auch eine Verbindung entlang des fragmentarischen Donau-Oder-Kanals zur Ostbahn (Richtung Marchegg). 1942 haben diese Anstalten denn auch die Aufmerksamkeit russischer Nachtbomber erregt und zu Abwürfen geführt, von denen nur wenige Wiener etwas erfuhren.

HAND IN HAND mit der Industrialisierung der Lobau gehen die Pläne der Donaukraftwerke. Nicht“ nur bei Klosterneuburg, sondern auch bei Albern, nächst der Donaukanalmündung, etwa mittwegs der Lobaubasislinie, soll ein Kraftwerk entstehen. Es ist schon vor mehr als Jahresfrist — gelegentlich der Donauausstellung im Schloß Petronell — auf die Ga-fahr hingewiesen worden, welche Stauwerke bei Albern und nächst der Marchmündung für das gesamte Auengebiet bedeuten. Maßgebliche Persönlichkeiten des Naturschutzes haben damals ihre warnenden Stimmen erhoben und auch ein Großteil der Presse nahm davon Kenntnis. Nun, da es um den Bestand der Lobau geht, fehlt ihr ein Mann, der es, wie Schöffel einst für den Wienerwald, durch die Ueberzeugungskraft seiner Persönlichkeit vermöchte, dem Vabanque-spiel um die Lobau ein Ende zu bereiten. Merkwürdig lau ist die Presse, leisetreterisch der sonst so gesprächige Reporter-Rundfunk.

DER JÄGER, der mit umgehängter Büchse, den Lauf nach unten, neben mir geht, bleibt auf einer Wiese, die von Bäumen umschlossen ist, stehen. Die zwei Hunde schnuppern drüben am Waldrand. In der blauen Ferne, von einem zarten Silberschleier überrieselt, verschwimmen die Randberge des Wiener Beckens: Kahlenberg, Hermannskogel, Dreiföhrenberg, Anninger. Wenn man sich ein wenig nach links wendet, dunkelt tiefer der Rücken des Hundsheimer und des Thebener Kogels. „Ich könnte lange erzählen davon, was es hier alles gibt“, sagt der Jäger mit leiser Stimme. „Soll ich von den Waldvögeln reden, von den Bussarden — im Winter haben wir immer den norwegischen Rauhfußbussard zu Gast — vom Sperber, vom Milan, von den nächtlichen Raubvögeln unserer Lobau, von den

Wald- und Sumpfschnepfen, die jetzt im Frühling kommen, von den Wachteln in den Feldern, den Rebhühnern und Fasanen in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten? Soll ich von den vielen Singvögeln erzählen, die bei uns eine friedliche Heimat haben, den Meisen, dem Pirol, der uns schon oft im Juni wieder verläßt, dem Sprosser, dem Schwarzplättchen, dem Goldammer, dem Baumläufer, dem Kleiber, der Nachtigall? Ja, das steht nicht nur im Schlager von der Lobau, die Nachtigall ist bei uns wirklich daheim. Weiter haben wir Hirsche, Rehe, Hasen, Füchse, Iltisse, Fischotter, Steinmarder, Wiesel und so fort, Kriechtiere und Lurche, fast iwei Dutzend Fischarten, seltene Schnecken und viele anderweit nicht so heimische Insekten.“ Der Mann lacht und setzt hinzu: „Womit ich die Stechmücken nicht meine.“ Ja, was er dazu sage, daß man Straßen, Bahnen, Hafen, Fabriksanlagen hier hereinsetzen werde? „Ich kann es noch nicht glauben. Nicht meinetwegen und wegen meines Berufes vielleicht, aber ich habe die Menschen aus der Stadt gesehen, wie fröhlich sie hier sind. Na ja, manchmal haben wir mit ihnen wegen des Wildschutzes und des Ab-pilück|9fls ,Mn,iBiunMn, besonders dBEisgfelben ,TicJirßsesi c ginen,-, Disput ,;der sickHabersiimnjer harmonisch löst. Wer hierher Schlote bringt, stiehlt den Wienern von ihrer Gesundheit, und, hm“ — er zieht am Riemen der Flinte — „ich möchte nicht mehr sagen — Sie wissen ja, meine Stellung...“

DER LANDWIRTSCHAFTSBETRIEB DER STADT WIEN hat ein eminentes Interesse an dem Bewahren des gegenwärtigen Zustands. Umfragen ergaben, daß die Rentabilität durchaus gegeben ist, daß es sich — bei den genutzten Flächen — um hochwertigen Boden handelt.

Eine maßgebliche, ziemlich hochgestellte Persönlichkeit, deren Name wegen des Dienstverhältnisses zur Gemeinde, leider nicht genannt werden kann, sagte mir ganz einfach: „Wer fragt denn schon uns? Solche Sachen geschehen hinter unserem Rücken und über unseren Kopf hinweg.“ In der Oekonomieverwaltung Lobau, die wie jene von Eßling, Wallhof, Cobenzl und Vösendorf der gemeinsamen Direktion in der Zollamtsstraße 11 in Wien unterstehen, ist man noch weit vorsichtiger mit der Sprache und verweist auf die Direktion. Es liegt klar zutage, daß man die Fachleute der Land- und Forstwirtschaft einfach nicht befragen will. Die Männer des Naturschutzes, der Touristenvereinigungen, der Sportverbände, der Schwimmer ins-besonders — niemand hat vor der Publizierung der Pläne auch nur eine ratsuchende Person gesehen. Alle sind aber einer Meinung: Es ist ungeheuerlich! Niemand würde sich wundern, als näfchste Etappe die Parzellierung des Praters angekündigt zu hören. Statt des Veilchendufts bietet man uns den von Benzin und Rohöl, statt Vogelgesanges das Heulen von Sirenen, und statt der zarten, weißen Wolken, die dort oben über den Himmel segeln, die berühmt-berüchtigte „rote Wolke“ von Linz. Merkwürdiges Symbol!

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