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DIE LOB AU: GESETZLICH GESCHUTZT

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Manchmal verlohnt es sich, in alten Zeitungen und Gesetzestexten zu blättern:

„Seit vielen Jahren habe ich mit großer Sorge die Verluste beträchtet, die der von Dr. Karl Lueger geschaffene Wald- und Wiesengürtel in der Nachkriegszeit erlitten hat. Die Anhöhen des Wienerwaldes, die im Stadtgebiete liegen, und weite Wiesen- und Auflachen nördlich der Donau sind zum Teil durch Abholzung, zum Teil durch wilde Besiedlung der Allgemeinheit verlorengegangen ...

Die Erfahrung hat bewiesen, daß der Wald-und Wiesengürtel im allgemeinen nur dort erhalten bleiben kann, wo die Stadtverwaltung selbst Eigentümer ist...

Nach zwanzig Jahren kehrt die untere Lobau wieder zur Stadt Wien zurück ... Damit werde ich nun endlich in die Lage versetzt..., das in der Nähe einer Millionenstadt so seltene Schauspiel eines im natürlichen Zustand erhaltenen romantischen alten Auwaldes mit seinem eigenartigen Tier-nnd Pflanzenleben der Wiener Bevölkerung zu erhalten ...

Wie den Prater als Naturpark im Sinne der historischen Widmung Kaiser Josephs II., so wird die Wiener Stadtverwaltung auch die,untere Lobau und den Tiergarten als Naturschutzgebiete mit liebevollem Eifer betreuen.

In dieser Gesinnung rufe ich schon jetzt alle Wiener und Wienerinnen, ja alle Freunde Wiens auf, mich und meine Mitarbeiter... zu unterstützen.“

Also sprach Bürgermeister Richard Schmitz am 11. Dezember 1937.

Die „Reichspost“ vom selben Tage konnte

weiterhin berichten:

„Die Stadt Wien... wird diese Wald- und Parkgebiete (Lobau, Prater, Tiergarten) übernehmen. In dem ... abzuschließenden Vertrag wird dafür gesorgt sein, daß die übertragenen Gebiete für alle Zeiten den Charakter von Naturschutzgebieten behalten... es ist zu erwarten, daß diese beiden Waldgebiete unter der Verwaltung der Gemeinde Wien eine für die Stadtbevölkerung günstige Entwicklung nehmen werden ...“ Zehn Tage später, in dem am 21. Dezember 1937 erschienenen 104. Stücke des Bundesgesetzblattes, wurde unter Nri 445 das Bundesgesetz über die Veräußerung des Lainzer Tiergartens und der Lobau verlautbart.

1 (1) ermächtigt den Bundesminister für Finanzen, Lobau und Tiergarten zu veräußern. 1 (2) lautet wörtlich: „Bei dieser Veräußerung ist dem Erwerber die Verpflichtung aufzuerlegen, Gesamtbild und Eigenart der Lobau und der innerhalb der geschlossenen Tiergartenmauer gelegenen Teile des Lainzer Tiergartens als Natu r-schutzgebiete zu erhalten.“

4 betraut den Finanzminister mit der Vollziehung des Gesetzes.

Viele Wiener sehen zwanzig Jahre später dem Schicksal der Lobau mit Bangen entgegen und wähnen sie aufs höchste bedroht. Warum eigentlich? Es kann ihr doch nichts geschehen! Sicherlich, die abgetretenen Machthaber des Dritten Reiches haben sich um Gesetze und Verträge wenig gekümmert. Auch möchten sie in etwa durch den Notstand des Krieges entschuldigt sein, der sie gezwungen haben mochte, ihre Kriegsindustrie tunlichst im Auengebiet zu tarnen. Trotzdem waren sie natürlich Gesetz- und

Vertragsbrecher. Wie aber wollen wir bestehen, vor uns selbst, vor der Welt, vor der Zukunft? Noch ist Oesterreich ein Rechtsstaat, noch legt er Wert darauf, es zu sein. Es ist daher ganz und gar unerheblich, was Hafendirektoren von Rhein und Donau sagen, unerheblich auch, ob sich Landesplaner kein Gewissen daraus machen, für die Umwandlung eines unvergleichlichen Erholungs-, wenn schon nicht Naturschutzgebietes in eine Industriezone zu stimmen. Daher darf die Wiener, darf die österreichische Oeffentlichkeit fragen:

1. Ist die Bundesregierung gewillt, die Gemeinde Wien, die schon bisher nichts getan hat, um den gesetz- und vertragswidrigen Zustand, der in der NS-Zeit in der Lobau geschaffen worden ist, durch Bau des Oelhafens, der Bahnanlagen usw., nach Tunlichkeit ehestens wieder zu beseitigen und den gesetz- und vertragsmäßigen Zustand nach Möglichkeit wiederherzustellen?

2. Ist die Bundesregierung gewillt, im besonderen zu verhindern, daß in der laut Gesetz und Vertrag als Naturschutzgebiet zu betrachtenden Lobau weitere, übrigens gar nicht standortgebundene Industrien aus keinem anderen als dem ausdrücklich erklärten Grunde angesiedelt werden, um der Stadt Wien die sonst, etwa in Schwechat, dem Lande Niederösterreich zufließenden Gewerbesteuern zu erhalten?

3. Ist die Bundesregierung gewillt, auf Einhaltung des Bundesgesetzes Nr. 445/37 und Erfüllung des damals zwischen Bund und Gemeinde Wien geschlossenen Vertrages zu dringen?

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