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Die ärgste Gefahr für die Lobau icheint zwar, wie wir seit einigen Tagen wissen, für diesmal gebannt, aber nur weil die „Petrochemie“ einen anderen Standort gefunden hat und nicht aus Gründen des Naturschutzes. Der nachfolgende Aufsatz verliert deshalb nichts an Zeitgemäßheit, zumal er die Erörterung der Frage einleiten soll, wie die weitere Umgebung der Lobau, das Marchfeld, landschaft-pflegerisch zu behandeln sein wird. Die „Furche“

Ist die Lobau schutzlos? Und, so fragen wir gleich weiter: Verdient sie, geschützt zu werden? Wir geben auf die erste Frage die Antwort: Nein, und beantworten die zweite Frage mit einem

Wir müssen genauer fragen: Steht die ganze Lobau oder nur ein Teil unter dem Schutze des Bundesgesetzes Nr. 445/37? Was man — ganz im Gegenteil zur Behauptung der Gemeinde Wien

— im Volksmund als Lobau bezeichnet, ist die große Insel, die vom Stadtl-Enzersdorfer Donau-arm umflossen wird, die Oertlichkeit, wo sich ein Teil der Schlacht von Aspern abgespielt hat. Manche nennen sie auch die städtische oder kommunale Lobau. Warum? Weil sie seit den Zeiten der Kaiserin Maria Theresia ununterbrochen Eigentum der Gemeinde Wien ist. Sie reicht von der Stadlauer Donaubrücke bis etwa

— aber nicht ganz — zur Einmündung des Donau-Oder-Kanals in die Donau. Was darunter, stromabwärts, liegt, bis zum „abgerissenen Gänshaufen“, nennen wir die untere Lobau; früher, von 1919 bis zum Jahre 1937, wurde sie auch die Kriegsgeschädigten-Lobau genannt. Obere und untere Lobau gehörten seit den Zeiten der Kaiserin Maria Theresia der Stadt Wien, doch hatte sich der Hof in beiden Teilen das Jagdrecht vorbehalten. 1917 wurde die obere Lobau ins volle Eigentum der Stadt Wien übertragen, der Hof also verzichtete auf das Jagdrecht in diesem Teil, das Hochwild wurde in die untere Lobau getrieben, und diese selbst ging ins volle Eigentum der Hofärars über. Mit anderen Krongütern wurde sie 1919 dem Kriegsgeschädigtenfonds überantwortet. Als dieser zwanzig Jahre später aufgelöst wurde, ging sie unentgeltlich ins volle Eigentum der Stadt Wien über, doch hat der Bund durch Gesetz, eben durch das Bundesgesetz Nr. 445/37, der Gemeinde Wien für sie und den gleichzeitig an die Gemeinde Wien übereigneten Lainzer Tiergarten die — einzig dastehende — Auflage geknüpft, sie als Naturschutzgebiet zu behandeln.

Hat also die Gemeinde Wien durch die Rodungen beim Hafenbecken in der Lobau das Bundesgesetz Nr. 445/37 verletzt? Antwort: Ja, weil diese auch Gelände betrafen, das zur „unteren“, zur „Kriegsgeschädigten“-Lobau gehört. Diese Beschuldigung mag kleinlich erscheinen gegenüber dem weit größeren Eingriff durch den Kanal und die schon bestehenden Verkehrsund Industrieanlagen. Auf die geschehene Gesetzesverletzung durch die Stadt Wien soll es uns auch gar nicht ankommen: Sie ist in einem Teil der Lobau geschehen, unmittelbar am Hafenbecken, der „eh schon hin ist“. Viel wichtiger ist etwas anderes.

Wenn der Bund dem Grunderwerber die Pflicht auferlegte, die Liegenschaft als Naturschutzgebiet zu behandeln, so hat er dies in der selbstverständlichen Voraussetzung getan, daß das Nachbargebiet, eben die „städtische Lobau“, weiterhin als Erholungs-, oder gar, wie die heute noch überall stehenden Tafeln besagen, als Landschaftsschutzgebiet behandelt werde. T:r hat nicht voraussehen können, daß man just hier einmal den Donau-Oder-Kanal und Oel- und Industriehäfen bauen werde. Im Dritten Reich ist dies nun geschehen. Aber selbst damals hat man eingesehen, daß der voreilige Eingriff ein Unglück war: Reichsarchitekt Dustmann, der das erste Hafenbecken und eine Industrieanlage bei seinem Dienstantritt vorfand, woran freilich nichts mehr zu ändern war, hat die Planung weiterer Hafenbecken (der sogenannten „Harfe“) verworfen und diese in das Gebiet zwischen Groß-Enzersdorf und der Ostbahn verweisen wollen. So ist denn auch in der Sitzung des Arbeitsausschusses 6 des Fachkomitees 3 (Architektur und Stadtbild) vom 7. November 1945 in der großen Enquete zum Wiederaufbau der Stadt Wien im Herbst 1945 (Z.: Abt. IV/6, S. 59) ausdrücklich festgestellt worden, daß „trotz aller

Eingriffe die Lobau auch heute noch eine hervorragende Stromlandschaft ist“ und daß „keine Rede davon sein kann, daß die an sich beklagenswerten Eingriffe so schwer seien, daß das Gebiet der Lobau als solches überhaupt keinen Schutz mehr verdiene und unbedenklich völlig der Industrie und dem Verkehr geopfert werden könne“. Damals ist gesagt worden: „Gerade die heutige Zeit des modernen Städtebaues kann es sich nicht leisten, ein so wichtiges Naturschutzgebiet vor den Toren der Stadt Wien der industriellen Spekulation auszuliefern und damit die üble Nachfolgerschaft der Gründerzeit mit ihrer rücksichtslosen Zerstörung alles Natürlichen zugunsten der .Wirtschaft' anzutreten.“

Wir haben kürzlich die Lobau nach vielen Jahren wieder besucht und zu unserer großen Freude feststellen können, daß die Verwüstung nicht so schwer ist, wie wir gefürchtet hatten. Die Ansicht der Gemeinde Wien, daß die städtische Lobau der Industrie überantwortet werden könne, weil sie, landwirtschaftlich genützt, „nicht mehr als Erholungsgebiet anzusprechen ist“, ist natürlich ganz und gar unrichtig. Das ist sie unter allen Umständen. Ja, man kann im gewissen Sinn sogar der Ansicht des von der Land- und forstwirtschaftlichen Betriebsgesellschaft m. b. H. in Wien zwischen 1926 und 1936 herausgegebenen Führers durch die städtische Lobau (S. 8) zustimmen, daß das Landschaftsbild der Lobau durch deren landwirtschaftliche Bewirtschaftung nur gewonnen habe. (Daß diese Landschäftsbilder wesentlich verbessert werden könnten, tut der Tatsache keinen Eintrag, daß wir sie für immer verlieren würden, wenn man sie der Industrialisierung opferte.)

Selbst wenn man die „städtische“ Lobau nicht als Landschaftsschutzgebiet gelten lassen wollte, dürfen in ihr, auch im Sinne der Enquete („Neue Industrien dürfen unter keinen Umständen in die Lobau verlegt werden“), keine über das bestehende Ausmaß hinausreichende Veränderungen vorgenommen werden, die die bundesgesetzlich geforderte Eigenschaft der unteren Lobau als eines Naturschutzgebietes gefährden oder gar zerstören würden. Ohne Zweifel ist die Gemeinde Wien auch gehalten, die an das Natur-, Schutzgebiet angrenzenden Landschaftsteile im 5 Sinne des Naturschutzes zu behandeln.

Wie die Enquete von 1945 die Eingriffe der Kriegszeit nur als Einsprengungen unbeschadet des Charakters der Umgebung gewertet wissen wollte, so hat die Gemeindeverwaltung dies auch noch in jüngster Zeit getan. Das erweist mit aller Deutlichkeit der der Druckschrift „Soziales Grün in Wien“, zweite Auflage, im April 1957, beigegebene Plan, der die obere und untere Lobau gleichermaßen als Teile des Wald- und Wiesengürtels bezeichnet, das bereits bestehende Industriegebiet aber als solches, als Enklave, als Einsprengung weiß darstellt. Bleibt also die Stadt Wien bei ihrer noch im vergangenenjahreklarformulier-ten Ansicht, so müssen wir nichts fürchten. Alles kommt darauf an, daß sich die Industrie nicht noch mehr ausdehne. Das ist im wesentlichen eine steuerpolitische Frage: Findet die Industrie, die übrigens nicht wassergebunden ist ((). auf Wiener Boden keinen Raum, so wird sie sich in Niederösterreich ansiedeln. Dann werden die Gewerbesteuern dorthin fließen. Das mag bedauerlich sein. Aber eine für immer entscheidende Planung, die Frage, ob eine sehr schöne Landschaft uns und allen kommenden Geschlechtern genommen werden soll, darf dies nicht berühren.

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