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Pratermelodie 56

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BEIM BARTE BARBAROSSAS! Es stimmt, daß am 2. Juli 1162 Kaiser Friedrich I. in Bologna eine Urkunde ausstellte und demnach aktenmäßig ein Freigut verlieh „quod dicitur Pratum“. Das Wort Prater führte man schon auf alles Mögliche (und Unmögliche) zurück. Es steht aber fest, daß es mit dem spanischen „Prado“ (das freilich auch Wiese bedeutet, und das man heute eher von dem berühmten Prado-museum in Madrid kennt, das im Parke Prado de San Jerönimo errichtet wurde) nichts zu tun hat. Auch die Anekdote, Kaiser Leopold habe die Pratergründe einmal den Jesuiten versprochen und statt dessen einem Brater (Bratenwender) geschenkt, bleibt eine Geschichte, würdig der Wortwendekunst eines Abraham a Sancta Clara. Prater kommt aus dem Lateinischen des 12. Jahrhunderts, wo das Wort für Wiese gebraucht wird. Und ein Wiesengelände, ein weitläufiges, von Wasseradern und Tümpeln durchzogenes, an Wald reiches Gelände war im 12. Jahrhundert das Freigut: nach einem Akt des Oberstjäger-Meisteramtes, einige Jahrhunderte später, gilt als Kennzeichen: „Von dem grünen Lusthaus über die Donau gegen Simmering lieget der sogenannte Kleine Prater.“ 1403 taucht der Name als „Pratter“ in Urkunden auf. Es war ein richtiges Jagdgebiet, das man eigentlich heute nur in Verbindung mit der Lobau begreifen kann, ein Gelände für Bevorrechtete, die dort neben Hasen noch Hirsche, Wildschweine, Dachse, Füchse, Schnepfen und — wie man wissen wollte — auch Wölfe jagten. Bei diesen Jagden dienten die Erdberger Untertanen als Treiber. Das waren noch billige Zeiten. Ein Hundeführer erhielt an Tageslohn acht Kreuzer. *

FÜR FÜNF KREUZER konnte man - wir mir eine alte Praterbudenhüterin erzählte — später, als der Prater zum „Volksprater“ (Wurstel -prater) geworden war, auf dem Ringelspiel (Karussell) fahren, ehe man nach Kronen rechnete. Vorderhand rechnete man, wie bei allen Kronen, stark mit den Jagdgründen. Selbst Wagen hatten nichts verloren im Prater. Noch 1764 durfte bloß der „redoutenmäßige Adel“ (jener, der zu den Hofredouten Zutritt fand) den Prater betreten. Zwei Jahre später öffnete Kaiser Josef II. mit dem Avertissement vom 7. April 1766 — vorderhand nur bei Tag, später fielen auch die abschließenden Gitter und das Nachtverbot — den Wienern ihren Prater. Von diesem Tage ab, der sinnbildlich in den Frühling fiel, kann man vom Volksprater sprechen. Die Bäume des Praters blühten allen Augen.

AM ANFANGE DES PRATERS STAND DIE FREUDE. Heute kann man sich, selbst bei aller Zuhilfenahme geschichtlicher Quellen und aller möglicher Bilderwerke nicht vorstellen, was es für die Menschen einer Stadt, die befestigt war und sich der Festungswerke nahezu hundert Jahre nach dem Avertissement erst entledigen konnte, bedeuten mußte, wenn die Füße über natürliches Grün gehen konnten, wenn die Ohren die Melodie der Praterbäume vernahmen, deren unvergängliche Schönheit Ferdinand Waldmüller auf die Leinwand bannte. 1766 war vor 1789 eine Revolution — aber eine Revolution des Herzens, und statt der Barrikaden entstanden, wie aus dem Mauerschen Plan zu entnehmen ist, schon 47 Buden, in der Mehrzahl freilich Gasthäuser. 1788 waren aus den 47 Pra-terhütten schon 60 geworden. Wie in den „Reisen des grünen Mannes durch Deutschland und Ungarn“ (Halle, 1788) berichtet wird, waren einige von den Hütten „sehr artig möbliert“. Im Jahre 1872 gab es 187 Buden, und wenn man dem Orienticrungsplan am Eingang der Straße des 1. Mai Glauben schenken darf, dann wären wir trotz allem, was über den Prater im Verlaufe der Jahrzehnte hereinbrach, heute wieder bei 154 angelangt.

WENN ES HART AUF HART GING, fehlte der Prater selten in der Lokalgeschichte. Als im Zuge der Wirren nach dem Prager Fenstersturz der böhmische Landtag das Königreich Böhmen als Wahlreich erklärte, rückten die Aufständischen unter dem Grafen Thum vom Norden her gegen Wien vor, indes Bethlen von Siebenbürgen her kam. Damals, 1619, wurde die Thurnsche Abteilung von den Jägern des Kaisers Ferdinand II. aus dem Prater vertrieben. Als die Schweden vor die Stadt Wien rückten — man schrieb das Jahr 1645 —, eroberten sie eine Schanze im Prater und abermals bestanden die Jäger und Schützen. Natürlich hat das Gebiet 1683 durch die Türken sehr gelitten. Diese mußten — zu späterer Nacheiferung — so arg geholzt haben, daß man noch vier Jahre nach der Türkenbelagerung Holz verkaufte. Und wieder ein Jahrhundert später lesen wir in den Eipeldauer-Briefen 1797: „Gestern bin ich in Prater gewesen und da hab ich großmächtige Paterien aufg'führt g'sehn und jetzt wird den Franzosen wohl d' Lust vergehn, in Prater bachene Händel z' essen. Aber der Prater ist jetzt, als wenn er auskehrt war.“ Aber erst 1806 wurde es wirklich ernst. Napoleon hielt unten im Prater eine Truppenparade ab und im Jahre der Schlacht von Aspern, 1809, wurden entlang der jetzigen Franzensbrückenstraße Befestigungen angelegt. In der Jägerzeile, der heutigen Praterstraße, wurde geplündert. Und wieder, wie bei Eipeldauer, der ähnliche Refrain eines Zeitgenossen: „Gingen wir durch den Prater... Er ist durch die daselbst angelegten Schanzen und Verhaue . . . unzugänglich .. . und auf Jahre lang in einen Gräuel der Verwüstung verwandelt.“ Im stürmischen Jahre 1848 wurde erbittert zwischen den Aufständischen unter General Bern und den Kaiserlichen gekämpft. Es kam zur Erstürmung der Dampfmühle am Schütte!, durch die Akademische Legion verteidigt, und zum Sturm auf die Sternbarrikade in der Jägerzeile (Praterstraße). Auch im ersten Weltkriege gab es Schützengräben im Prater. Ich selbst bin als Kind durch sie gegangen und sah durch das Scherenfernrohr. Aber es handelte sich nur — um die Ausstellung „Schützengraben“.

VERNICHTUNG ALS EPISODE - Aufbau aus Trümmern. Ob es in dem reichen Repertoire der Praterliedcr auch darüber eines gibt? Wer die rauchgeschwärzten Mauern im Frühlingslicht von 1945 gesehen hat, der glaubte kaum mehr an ein Auferstehen des Praters. Der Kampf um Wien endete zwischen Lusthaus und Praterstern. Aus jenen Tagen bewahrt der Aufseher der Autorennbahn (für Kinder), der mir vor einigen Tagen gegenüberstand, während der Kollege die Wagen abstaubte und ölte, noch ein Stück verbogenes Eisen. Es sah wie ein Stern aus, und, in der Tat, es war ein Stern, ein Stern von vielen anderen aus dem Gitter der Einfriedung, den der Mann nach dem Ende des Kampfes um Wien aus dem Schutt gekramt hat.

DIE PRATERUNTERNEHMER HABEN IHRE SORGEN. Da sitze ich bei einer Frau, die vierzig Jahre lang im Prater gearbeitet hat. Heute ist sie dreiundsechzig Jahre alt. Als sie den schüchternen Versuch machte, irgendwoanders unterzukommen, wurde ihr von der Pensionskasse bedeutet, sie möge ja dort bleiben, wo sie ist. Keine Aussicht für Llnterbringung! „Dabei fällt mir das Stehen schon ein wenig schwer“, sagt sie und wischt die Bank sauber, die an-sonst für Väter und Mütter bestimmt ist, die warten, indes ihre Kinder Karussell fahren. Jetzt sitze ich allein auf dieser grünen Bank, und zeitweilig kommt wer, der das Gespräch unterbricht — immer aber nur ein, zwei, drei Kinder. „Da sehen Sie, wer nicht mit der Technik geht bleibt liegen. Was hilft's? Da müssen wir also Kleinautos statt der Pferde und Schweine und Kutschen einstellen. So ein Kleinauto — dort,wie das drüben — nur für Kinder auf ihre Größe und Gewicht berechnet, kostet rund tausend Schilling. So ein Roller — nun, und welches Kind von heute will nicht Motorroller probieren? — kostet achthundert Schilling. Eine Fahrt auf unserem Ringelspiel berechnen wir mit einem Schilling. Ich habe noch nicht gesagt, wa; der Betriebsstrom kostet, was die Reparaturen und — soll ich viel weiterreden — was die sogenannte Vergnügungssteuer nimmt.“ Auf die Frage, ob die Frau einen bestimmten Lohn beziehe, schüttelt sie den Kopf. Nein, das gäbe es da nicht. Nur Prozente vom Umsatz. Von ferne kräht ein Lautsprecher die Tenorweise: „Freunde, das Leben ist lebenswert!“

WIE DIE FRÜHEREN KONZERTKAFFEEHÄUSER — die immerhin einen Bruchteil der stellenlosen Musiker aufgenommen haben — darüber dauernd Klage führen, daß das vielgegliederte Abgabewesen der Gemeinde Wien, vor allem die Vergnügungssteuer, es verhindert, die Konservenmusik durch jene wertmäßig befriedigende zu ersetzen, die der Fremde bei einem Besuche erwartet — nämlich Konzertorchestermusik —, so wollen auch die Klagen des Verbandes der Praterhüttenbesitzer nicht abreißen. In zwei Jahren würde diese Vereinigung (ein altes Photo zeigt ihren Gründer noch zu Pferd und mit Zylinder) die Fünfzigjahrfeier begehen; unter welchen Aussichten? Man braucht einmal einen begünstigten Gas- und Strombezug, dann eine erträgliche Bemessung der Wassergebühren. Die Praterunternehmer können jederzeit gekündigt werden; die Praterbetriebsgesellschaft hatte früher eine Belassung der Pachtplätze bis zum Jahre 1975 erreicht — diese Bestimmung ist auf eine Pachtdauer für unbestimmte Zeit geändert worden. Es ist einleuchtend, daß nach den erbarmungslosen Zerstörungen des letzten Krieges, die keineswegs überall beseitigt sind, kein Budenbesitzer darandenken kann, irgendwo mehr als unbedingt nötig zu investieren. Man kann sich denken, wie diese Bremse auf die Industrie (Stahl, Aluminium, Gummi, Holz) und auf das Gewerbe wirkt — und nicht zu vergessen auf jene Angestellten, von denen die dreiundsech-zigjährige Frau eine ist. Wieviel Sterne man im Baedecker dem Prater neben dem ungemütlichen Praterstern vorsetzen wird: das wissen die Männer und Frauen, die jeden Sonnentag als Geschenk empfinden, nicht. Auch wir wissen es nicht. Der Prater hat einen großen Namen zu retten, einen Beweis der Anerkennung zu empfangen für das, was man in elf Jahren wieder aufgestellt hat.

DER GROSSE NAME UND DIE GROSSEN NAMEN. Rufen wir diese Namen den Taubgewordenen, den Registratoren der Prater-existenzen erinnernd zu. Lustspieltheater, heute Kino, verbunden mit den Namen Jarno und Niese. Hier wurden Shakespeare, Moliere und Strindberg gespielt! Beim „Wilden Mann“ konzertierten Lanner und Strauß; im Ersten Kaffeehaus spielte Beethoven mit Schuppanzigh und Linke sein großes B-dur-Trio; im Zweiten Kaffeehaus waren Josef und Eduard Strauß zu hören und zu sehen und auch Ziehrer konzertierte hier; ein Besitzer des Hauses, Ignaz Wagner, war der Vater Antoniens. der Freundin Raimunds. Beim „Braunen Hirschen“ pflegte Brahms als Stammgast zu verkehren. Mit dem Prater verbunden sind Fahrbach, Morelli, Wenzel Müller, Josef Hellmesberger; Ronacher führte hier ein Sommertheater, Nedbai dirigierte „Mein Vaterland“ von Smetana und sogar von Richard Strauß erklang hier der „Till Eulenspiegel“, im Variete Leicht verdienten sich die Jeritza. Maikl, Schmedes, Aslan, Reimers, Kramer. Kutschera, die'Konstantin und die Wessely ihre Sporen, Klitsch rezitierte hier Rosegger, Petzold und Schönherr, Ferdinand Ex! und Eduard Köck waren zu hören, und drüben, wo bis 1937 die Rotunde stand, sang Girardi am 24. Mai 18 8 5 zum ersten Male das Fiakerlied.

EIN PAAR FIAKER STEHEN NOCH AM STEPHANSPLATZ. „Aber drauf kommt's nicht an“, sagt die behäbige Verkäuferin der luftigen Kinderträume, der Ballons, vor dem einzigen, stehengebliebenen Wahrzeichen des Praters, dem Riesenrad. „Die Kinder bleiben doch immer die gleichen“, setzt sie hinzu. Und der Ausrufer, der für einen Augenblick das stimmverstärkende moderne Mikrophon beiseitelegt, meint: „Freuen, wirklich freuen — das bringen die dort in den Stromlinienwagen gar nicht zusammen. Wenn Sie Freude sehen wollen, dann kommen Sie um Pfingsten; dann kommen Sic an einem Sonntag, wenn die Arbeiterfamilie den Praterausflug des Jahres macht und die Schillingstücke gezählt werden! Ja, sehn Sie, da leben wir noch einmal mit...“

DA LEBEN SIE NOCH EINMAL MIT. Und darum sollte man ihnen auch Luft zum Leben lassen, den ewigen Freudebringem! Vom Dritten Kaffeehaus her trägt die laue Praterluft, die vielbesungene, ein altes Lied: „Im Prater blühn wieder die Bäume. . .“ Es blühn die alten, vom Kriegsbrand verschonten, die jungen, neugesetzten stimmen ein, und wenn man ein Weilchen gegen das Lusthaus wandert und seitwärts über die Wiesen zwischen Silberpappeln und Buchen weiterschlendert, stehenbleibend die Vogelstnn-men in allen Variationen hört, die noch kein Meister nachkomponiert hat, schließt man die Augen und öffnet sie, als man Kinderlachen ganz nahe zu hören vermeint. Aber niemand ist da. Vielleicht kam es aus dem eigenen Herzen.

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