Im Dschungel, in der Grossstadt

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Der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul wird weltweit für seine Filme gefeiert und hadert mit der Situation in seiner Heimat. Nun läuft sein Film „Syndroms and a Century“ an.

Es ist keine Schande, die Filme von Apichatpong Weerasethakul nicht auf Anhieb zu verstehen. Kaum jemand im Westen tut das, viele scheitern an den Bildern des thailändischen Regisseurs ebenso, wie an seinem schier unaussprechlichen Namen. Sein Kino hat eine weltweit einzigartige Handschrift, die mal als spirituell-hypnotisch, mal als Gegenbewegung zum rasch konsumierbaren Kinofilm gedeutet wird. Sicher ist: Weerasethakul entzieht sich jeglicher Konvention, und der Schlüssel zu seinem Werk ist ein animistisches Weltbild, in dem eine materielle und eine geistartige Welt Seite an Seite existieren. Gerade in seinem jüngsten Film „Onkel Boonmee, der sich an seine früheren Leben erinnern kann“, im Mai in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, spitzt er das Verhältnis dieser beiden Welten zu: Bonmee, ein kranker Mann, möchte seine letzten Tage im Kreise der Familie inmitten des thailändischen Dschungels verbringen. Beim Essen erscheinen ihm seine längst verstorbene Frau, die zart durchsichtig bleibt, und sein bei einem Unfall umgekommener Sohn, der als affenartiges Zottelwesen mit leuchtend roten Augen bei Tisch auftaucht. Es geht in dieser visuell bemerkenswerten Filmarbeit um nichts weniger als um die Reinkarnation eines Menschen in Tieren oder Pflanzen, um eine Zwischenwelt, in der die Seele wandert, und um die Unauslöschlichkeit der eigenen Erinnerung und ihre energetische Kraft.

Mühelos über Lebensgrenzen

Wie in den meisten Filmen Weerasethakuls gehen seine Protagonisten scheinbar mühelos über (Lebens-)Grenzen, und der 39-jährige Filmemacher setzt dies mit einer ebenso grenzgängerischen Bildsprache um. Weltweit feiert man den Thailänder als einen der bedeutendsten Bildermacher der kinematografischen Gegenwart.

Das mag daran liegen, dass Weerasethakuls Filmsprache auf der Basis stark persönlich gefärbter Eindrücke fußt. Wiederholt thematisierte der Regisseur seine Homosexualität, etwa in dem 2004 in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichneten „Tropical Malady“. Darin erzählt Weerasethakul von einem Soldaten und seinem Geliebten. Seine Filme bringen dem Regisseur beständig Konflikte mit der Thai-Zensur, etwa der nun in Österreich startende Film „Syndromes and a Century“ (Originaltitel: „Sang sattawat“), dessen geforderten Umschnitt Weerasethakul verweigerte. „Syndromes“, Teil des 2006 von Peter Sellars konzipierten Festivals „New Crowned Hope“, ist der bislang persönlichste Film des Regisseurs: Zweigeteilt in eine Sequenz im Dschungel und eine in der Großstadt, schildert der Film merkwürdige Begebenheiten in zwei Krankenhäusern, meist doppeldeutig, gespiegelt und wieder auf die Transformation der Seele in einem Reinkarnationsprozess ausgerichtet. Weerasethakuls Eltern arbeiteten in einem Krankenhaus, und als Kind verbrachte er viele Stunden auf dessen Fluren.

Aufgegriffene Kindheitsbilder

„Syndromes and a Century“ greift diese Kindheitsbilder auf und setzt sie zu einem visuell außergewöhnlichen Film-Puzzle zusammen. Kennzeichnend sind dabei vor allem freudestrahlende, meditative Momente, die man durchaus als buddhistisch bezeichnen darf. Diese Wesensform seiner Filme, mit der Lust am Bizarren, hat Weerasethakul durchaus aus dem populären thailändischen Kino übernommen, so einzigartig seine Filmsprache auch sein mag.

Die Unruhen in seiner Heimat geben Weerasethakul genügend Reibefläche, die er auch in seinen Filmen verarbeiten will: „Es gibt eine große Spaltung in der Gesellschaft, und die Unterprivilegierten sind wütend“, sagt der Regisseur. Seine Filme spielen im bettelarmen Nordosten des Landes, von wo viele Menschen weg nach Bangkok gehen, um Arbeit zu finden. „Dort schaut man auf sie herab, unter anderem, weil sie Dialekt sprechen. In meinem Film wird durchwegs dieser Dialekt gesprochen“, so Weerasethakul. Klassenunterschiede und ein schlechtes Gesundheits- und Bildungssystem hätten die jüngsten Unruhen geradezu erzwungen: „Wir sind an der Nase herumgeführt und mit Propaganda zugeschüttet worden, seit wir denken können, und das ist jetzt der Augenblick des Aufwachens.“ Weerasethakul fühlt sich auch selbst in seiner Freiheit eingeschränkt: „Ich mache noch immer persönliche Filme, aber das Politische ist in meine Privatsphäre eingedrungen. Und jetzt gerade geht es um die Freiheit der Thailänder, um meine Freiheit, die bedrängt und zerquetscht wird“.

Syndroms and a Century (Sang Sattawat)

Regie: Apichatpong Weerasethakul F/A/Thailand 23006. Mit Sakda Kaewbuadee, Nantarat Sawaddikul. Verleih: Stadtkino. 106 Min

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