Indonesien vergessen
Schonungslose Art der Weltbetrachtung: Vorabdruck aus Egyd Gstättners nächstem Roman "Schreckliches Kind" (Edition Atelier), Teil 1.
Schonungslose Art der Weltbetrachtung: Vorabdruck aus Egyd Gstättners nächstem Roman "Schreckliches Kind" (Edition Atelier), Teil 1.
Durch puren Zufall hat der Chefredakteur des großen internationalen Reisemagazins "Traveller" einmal einen meiner pessimistischen Aufsätze, der in einem sehr unbedeutenden Medium eher gnadenhalber und natürlich honorarfrei erschienen ist, gelesen. Der Chefredakteur hat eigenartigerweise angenommen, daß mein - wie er sagte: - elegischer Elan und meine schonungslose Art der Weltbetrachtung, meine gewissermaßen hinterwäldlerisch-globale Perspektive ironisch gemeint sind und ich ein komischer Kauz sein müsse, obwohl mein elegischer Elan und alles weitere in Wirklichkeit nicht im mindesten ironisch gemeint sind und ich in Wirklichkeit kein komischer Kauz, sondern ein tragischer Kauz bin - Doppelhofer ist der Satiriker, nicht ich! - und der Chefredakteur hat sich gedacht, wenn man mich für ein ansprechendes Salär in der Welt herumschickt, müßten ganz witzige und interessante Geschichten dabei herauskommen.
Ansprechendes Salär ist ein ansprechendes Argument. Mach es, hat Doppelhofer gelallt, so eine Chance kommt nie wieder. Lieber reich und unglücklich, als arm und unglücklich, hat Doppelhofer gelallt und ob ich ihm apropos einen Hunderter borgen könnte, er müsse noch einmal dringend kurz ins Wirtshaus. Also hab ich ihm einen Hunderter geborgt, und ich hab es gemacht. Mein Mißverständnis war aber, daß ich das Mißverständnis des Chefredakteurs nicht einkalkuliert und ernstgenommen und daher erstens gemäß meiner Maxime von der ontologischen Auswechselbarkeit der Weltschauplätze, zweitens gemäß meiner Maxime der ontologischen Auswechselbarkeit der Weltschauspieler und drittens radikal, schonungslos und erschütternd wie immer geschrieben habe. Meine erste und gleichzeitig weiteste Reiseprosareise führe mich nach Indonesien, eine redaktionelle Übertreibung sondergleichen also, bloß um mir das Gefühl zu geben, ich sei mondän. Mich hat von Anfang an nichts interessiert und ich habe in einer völligen Witzlosigkeit über nichts anderes geschrieben als über die Existenz indonesischer Existentialisten und vor allem über das Verhältnis der Indonesier zu den indonesischen Existentialisten.
Die Wahrheit ist, daß sich die Indonesier nicht im mindesten um die indonesischen Existentialisten kümmern und die indonesischen Existentialisten meiden und schamlos ignorieren, wo immer und wann immer es nur geht. Es geht immer und überall. Die indonesischen Normalverbraucher leben und vegetieren geradezu in den Tag hinein, als ob es überhaupt keinen indonesischen Existentialismus gäbe und schlagen die dunklen Einsichten der indonesischen Existentialisten in den Monsun, die schwarzen Wellen, die über den Geist der indonesischen Existentialisten hereinbrechen, verebben am Fuß der breiten Masse. Dementsprechend führen die indonesischen Existentialisten ein wenig mondänes Hungerleiderdasein. Der indonesische Tourismusverband ist darüberhinaus peinlich darauf bedacht, die indonesieninteressierten Touristen aus aller Welt vor diesen eingeborenen Madigmachern im Lendenschurz abzuschirmen. Das offizielle Indonesien boykottiert in geradezu diktatorischer Manier die Indieweltgeworfenheitsmaxime und die These von der Überflüssigkeit aller Indonesierinnen und Indonesier, der Vanitasgedanke wird vom offiziellen Indonesien nicht gedacht. Nur so konnte Indonesien Indonesien werden, sagt das offizielle Indonesien. Gästen gegenüber oder wenn die indonesische Polizei in der Nähe ist, führen sich die Indonesier bis hinunter zum kleinen Indonesier von der Straße allen Ernstes so auf, als sei Indonesien sowie die Existenz des Indonesiers als solcher und in seiner Eigenschaft als indonesischer homo sapiens das reinste Paradies.
Zwei Tage nach Abgabe meiner Indonesiengeschichte mit dem zugegeben markanten Titel "Indonesien vergessen" klingelt das Telephon, und der Chefredakteur vom Traveller sagt mir, also so geht es nun doch wieder nicht, mein Lieber, beim besten Willen und bei allem Respekt. Sie machen es sich zu leicht mit Ihrer seelischen Erdschwere. Bloß um die Tatsache zu entdecken, daß alle Indonesier sterblich sind, hätten Sie nicht eigens nach Indonesien fliegen und vor Ort recherchieren müssen. Was für alle gilt, interessiert niemanden. In Indonesien muß Ihnen außer der allgemeinen indonesischen Sterblichkeit doch wohl noch etwas anderes aufgefallen sein, sagt der Chefredakteur, das unverwechselbare indonesische Abendrot, das indonesische Rotlicht, die indonesische Gastfreundschaft, die indonesische Gemütlichkeit, sagen wir: die indonesische Seinsleichtigkeit. Reisfelder, Teeplantagen, Vulkane, idyllische Buchten, Tempel, Tempel, Tempel, meinetwegen auch buddhistische, solche Sachen. Die indonesischen Nationalgedichte, die indonesischen Nationalgerichte: Zum Beispiel Ajam pangang ketjap, also sautierte Hühnerbruststreifen mit indonesischer Sojasauce und einer süß-pikanten Gewürzmischung, zum Beispiel Sambal goreng kambing, scharfes Ragout von der Lammkeule mit Tomaten, Chili, Knoblauch, Ingwer, Trasi, Koriander, Palmzucker und Jungzwiebeln; oder knusprig gebratenes Filet vom Red Snapper mit indonesischem Gemüse, Hummersauce und Basmati-Reis bis hin zu duftendem Mandelpudding mit Ananas und Lychees, Kokosnußraspeln und gerösteten Süßkartoffeln, sagt der Chefredakteur. Bei allem Respekt und bei allem Verständnis für Ihre hinterwäldlerisch-schonungslose Art: Die Mißachtung und Bagatellisierung des indonesischen Existentialismus durch die breite Masse der lebensfreudigen Indonesier interessiert die breite Masse der lesefreudigen Traveller-Leser nicht im geringsten. Und wir sind kein Organ für vorauseilende Partezettel.
Da ist er wieder, der allgemeine Leser, diese desinteressierte, verfressene Kreatur! Aber die Sieben Kränkungen des Menschen, Herr Chefredakteur, sag ich. Die Kopernikanische Kränkung! Die Freudsche Kränkung! Die Idealistische Kränkung! Werden Sie jetzt aber nicht larmoyant, sagt der Chefredakteur.
Kennen Sie den Witz mit den Planeten, frag ich. Also, da treffen sich zwei Planeten ...; ja, den kennt er schon, sagt der Chefredakteur, sehr witzig, jetzt aber weiter im Text: Pulau Seribu heißt auf indonesisch tausend Inseln. Die Eilande sind meist im Privatbesitz und dienen als Wochenenddomizil der Reichen aus Jakarta. Das wollen unsere Leser wissen. Aber auch in der Java-See gibt es eine Ausnahme, die für ein einsames Robinsonintermezzo geeignet ist: Tikus Island, nur fünfzehn Minuten von Laki Island Resort entfernt. Das interessiert unsere Leser. Und rundherum eine schrullige Geschichte. Verstehen Sie, Robinsonintermezzo, nicht Robinsonpsychodrama. Flugpreis ab 1.400 Mark nach Jakarta, verstehen Sie, die Insel Tikus kostet umgerechnet fünfzehn Mark Miete pro Tag, der Transfer kommt auf fünfundachtzig Mark, das hat doch noch nichts mit Anbiederung zu tun. Was heißt: Robinson war ein Gestrandeter? Was heißt: Robinson hat die Einsamkeit nicht genossen, sondern erlitten? Das tut doch nichts zur Sache. Er kann ja die Mrs. Robinson mitnehmen heutzutage. Er kann ja die Einsamkeit zu zweit genießen. Familienpackungseinsamkeit. Jetzt kommen Sie mir nicht auch noch mit den Ananasallergien! Wissen Sie was, mein Lieber, sagt der Chefredakteur, ich habe da eine ganz andere Idee: Jetzt fahren Sie einmal nach Wien und sehen sich einmal in Wien um. Wien liegt Ihnen sicher näher, vor allem Hochkultur und Mentalität und so, Freud, Friedell, Wittgenstein und der florierende Grabsteintourismus. Aber tun Sie sich keinen Zwang an, schwärmen Sie nicht unnötig, seien Sie ruhig ironisch. Ihre Ironie kommt Ihnen in Wien sicher zugute.
Teil zwei folgt nächste Woche