Keine Verdammung der Heiden

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Karl Schefolds Versuch, vorchristliche Religiosität am Beispiel der Kunst christlich zu deuten.

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Karl Schefolds Versuch, vorchristliche Religiosität am Beispiel der Kunst christlich zu deuten.

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Bereits auf dem Boden der Entwicklung des Alten Testaments versteht sich das Christentum als universale Religion, weil sein Gott der einzige ist. Er muss darum die Inspiration und das Ziel aller Religionen sein - auch der sogenannten "heidnischen". Doch welche Folgen hat diese theologische Sicht für den christlichen Umgang mit vorchristlicher Religiosität in Europa, besonders mit den Kunstwerken, die sie uns hinterlassen haben? Mit dieser Frage setzt sich Karl Schefold in der Monographie "Der religiöse Gehalt der antiken Kunst und die Offenbarung" auseinander.

Schefold, ausgewiesener Kenner der klassischen Archäologie und der antiken Religionen, fordert, dass die Kirche wieder hören lernt auf die religiöse Dimension der Kunst. Er wagt es, einen solchen Dialog vorzuführen, als Summe der Erkenntnisse seines langen Forscherlebens. Der Bogen, den er dabei spannt, ist gewaltig: "Die natürlichen Religionen" (von der Steinzeit bis zur mykenischen Kultur), "die ethischen Religionen" (die gesamte griechische Kunst bis zur Hochklassik), "die philosophischen Religionen" und der Hellenismus, das Transzendieren der römischen Religiosität und ihr Zusammenspiel mit der Entwicklung der frühen Kirche.

Religion ist für Schefold alle Erfahrung eines Höheren, das uns umgibt, innerlich ergreift und bestimmt. Der Mensch hat drei Gaben, mit denen er auf das Heilige antwortet: Religion als Lebensform, die künstlerische Gestaltung und das Denken. Alles, was ursprünglich ist im menschlichen Handeln, und darum auch das Kunstschaffen, ist vor einem Höheren verantwortet; der Grundcharakter jeder echten Antwort ist die Ehrfurcht.

Darum mahnt Schefold, evangelische Nächstenliebe solle auch in der Interpretation der natürlichen Religionen am Werk sein: die Zeit der Verdammung alles "Heidnischen" oder der überheblichen Ignoranz ist vorbei.

Während die antiken Griechen im Sinn dieser Welt zu leben suchten, schließlich die Tragödie entwickelten, um die Tragik der menschlichen Existenz auszudrücken, neigten die Römer dazu, eine ideale Gegenwelt aufzustellen und höhere Lebensform im Staat zu entwickeln. Die christliche Offenbarung gab eine integrierende Antwort auf jene existenziellen Fragen, welche Griechen und Römern erstanden war, und das erklärt für Schefold den historischen Siegeszug der Kirche. Diese Behauptung muss freilich im deutenden Durchgang durch die Antike aufgewiesen werden, die feinsinnigen Einzelanalysen Schefolds können hier nur angedeutet werden.

Schefold sucht den religiösen Gehalt in der Form der Kunstwerke und im Stilwandel, denn Kunst ist ihm "das gestaltende Antworten auf die göttliche Wirklichkeit".

In der klassischen Tradition daheim wie wenige Zeitgenossen, drängt sich ihm das Vergleichen mit der Moderne auf. Die fundamentale, herausfordernde Spannung erkennt er zwischen Religiosität an sich und der gegenwärtigen Ökonomie des Raubbaus. Weltlichkeit und Religion entwickelten sich in der Neuzeit auseinander: "Nicht Hellas und das Evangelium bilden den Gegensatz ... sondern zu beiden steht die moderne Zivilisation in einer Opposition, die man sich zu wenig bewusst macht."

Schefold schreibt somit gegen das "lateinische Transzendieren", das zur Profanierung der Welt und zugleich zur Abstrahierung des Evangeliums in eine Jenseitsreligion geführt hat.

Das Ziel für eine neue Integration heute wäre, wieder wie die Griechen in ein Gleichgewicht von Sichtbarem und Unsichtbarem zu finden, philosophisch: das Göttliche in seinem Erscheinen zu verstehen und ursprünglich Gestalt gewinnen zu lassen.

Der religiöse Gehalt der antiken Kunst und die Offenbarung. Von Karl Schefold.

Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998. 580 Seiten,106 Abb., öS 496,-/e 33,60

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