Lebbares Glück
PETER HENISCH ERZÄHLT IN SEINEM NEUEN ROMAN FEINSINNIG VON LIEBE UND SEHNSUCHT.
PETER HENISCH ERZÄHLT IN SEINEM NEUEN ROMAN FEINSINNIG VON LIEBE UND SEHNSUCHT.
San Vito in der Toskana. Ein malerischer Ort im Herzen Italiens wird zum Angelpunkt zweier Geschichten, die historisch getrennt verlaufen, aber dennoch innig miteinander verwoben sind. Die eine wölbt sich um den amerikanischen Soldaten Mortimer, der hier im Frühling 1944, nachdem er von den Deutschen abgeschossen worden ist, mit einem Fallschirm in einem Renaissancegarten landet und von Miss Molly gerettet wird. Die andere handelt von Julia und Marco, einem jungen Paar, das nach einer Fahrt in den Süden zufällig an diesem Ort Halt macht und ihm bald verfallen ist.
Magie der Imagination
Peter Henisch, der soeben seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, ist ein begnadeter Erzähler. Das hat er in seinem breit angelegten Werk bereits hinlänglich unter Beweis gestellt. Literatur und Erzählen gehören für ihn untrennbar zusammen. Nach einem Schwenk in die Opernwelt im "Großen Finale für Novak" rückt Henisch in seinem neuen Roman die schillernden Landschaften der Liebe in den Mittelpunkt. Schauplatz des Geschehens ist wie bereits in der "Schwangeren Madonna" Italien, genauer die Toskana. Als Kenner dieses Landstrichs ist Henisch mit dem italienischen Dolce Vita zwischen Espresso, Brunello und Vitello bestens vertraut, und er berichtet genussvoll davon. Mit einem gelungenen erzählerischen Kunstgriff lässt Henisch eine zarte Liebesgeschichte entstehen, die angeregt durch die schwebende Fantasie eines anderen Paares erst sukzessive Konturen und Formen anzunehmen beginnt. Der Erzähler selbst bleibt auktorial präsent, zieht mit Leichtigkeit die Fäden und steuert die Magie der Imagination. Julia und Marco, deren Liebe erst sehr jung ist, erfreuen sich an der schönen Landschaft und steigen eher zufällig in einem schon etwas heruntergekommenen Hotel in San Vito ab. Dort treffen sie auf den alten Mortimer, der ihnen bei einem Abendessen seine unglaubliche Geschichte zu erzählen beginnt. Aufgrund seiner plötzlichen Abreise erfahren die beiden aber nur den Anfang. Damals, im Frühling 1944, als er quasi "vom Himmel gefallen ist", versteckt ihn die englische Gouvernante Miss Molly, die seinen Absturz beobachtet hat, kurzerhand bei ihr im Gartenhaus. Julia und Marco versetzen sich inspiriert durch die geheimnisvolle Erzählung in die damalige Zeit. Sie malen sich Mortimers und Miss Mollys Geschichte als Drehbuch, ja quasi als "Kopf-Film" aus und versuchen, inmitten von Rosmarin in diesem verwunschenen Garten die Ereignisse von damals nachzustellen, zu fotografieren, zu interpretieren und neu zu ersinnen. "Ja, so könnte es gewesen sein, oder vielleicht so?"
Und umgekehrt? San Vito ist ein Ort, der Marco und Julia aus der Zeit fallen lässt, ein Ort, "an dem ihre Liebe blühte und gedieh, an dem ihnen nichts widerfuhr, das diese Liebe behinderte und die Freude daran trübte". Denn außerhalb dieses Kosmos ist sie den Widrigkeiten des alltäglichen Lebens ausgesetzt. Julia "ging zum ersten Mal auf, dass Liebe vielleicht etwas mit Widerstand zu tun hatte. Mit Widerstand gegen alle widrigen Umstände. Und letzten Endes mit Widerstand gegen die Zeit."
Neue Erzählwelten
Mit der Raffinesse der Spiegelung gelingt es Henisch, neue Erzählwelten entstehen zu lassen. Gleich Scheherazade erzählen Julia und Marco nicht um ihr Leben, sondern um ihre Liebe. Dabei offenbart der Gang durch historische Räume sensible Geschichts-"Bewusstseins- Archäologie". Immer wieder neu überrascht Henisch mit seinem hohen Anspruch an die Literatur. Ein feinsinniges Buch über das Aroma von Liebe, Sehnsucht und lebbarem Glück.
Mortimer & Miss Molly Roman von Peter Henisch Deuticke 2013 320 S., geb., € 20,50