6750632-1967_26_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Pointe am Beginn

19451960198020002020

DIE ZEHN GEBOTE — Exemplarische Erzählungen. Herausgegeben von Jens Rehn. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg. In der Reihe: Bücher der Neunzehn. 220 Seiten. DM 9.80.

19451960198020002020

DIE ZEHN GEBOTE — Exemplarische Erzählungen. Herausgegeben von Jens Rehn. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg. In der Reihe: Bücher der Neunzehn. 220 Seiten. DM 9.80.

Werbung
Werbung
Werbung

Zehn Schriftsteller wurden gebeten, je eine Erzählung über eines der zehn Gebote zu schreiben. Reichte der zweifache Lockruf von RIAS Berlin und vom Rowohlt-Verlag als Ansporn allein vielleicht nicht aus, um diese schwere Aufgabe zu meistern, konnte wenigstens die tröstliche Erinnerung gute Dienste leisten, daß aus zehn Dichtern von Weltrang Anno 1943 nur Thomas Mann („Das Gesetz“) die gleiche Prüfung wirklich bestanden hatte. Die Autoren — Heinrich Boll, Maria Dessauer, Herbert Eisenreich, Josef Janker, Siegfried Lenz, Heinz Pion-tek, Paul Schaflück, Wolfgang Weyrauch, Karl Alfred Wolken, Gerhard Zwerenz — machten es sich nicht leicht. Die meisten von ihnen versuchten, das ihrer Erzählung zugrunde liegende Gebot zu verschleiern, so lang wie möglich zu verstecken und gerade darin fiel ihnen der Herausgeber in den Arm. Er stellte jeder Erzählung das betreffende Gebot, in der schönen lutherischen Fassung, voran, gab somit das Geheimnis des Schriftstellers — die Pointe seiner Geschichte von vornherein preis. Maria Dessauers geistreiche Schilderung eines mit ungeheurem Geldaufwand vorbereiteten Diners, zum Beispiel: wieviel besser wäre es gewesen, es dem Leser zu überlassen, durch die entsetzten Blicke der Kinder selbst daraufzukommen, es handle sich um das vierte Gebot! (Der Abschluß flacht ein wenig ab: Maria Dessauer hätte das ohnehin überflüssige Moralisieren weglassen können.) Ohne Gebrauchsanweisung und ohne ebenso verräterische Reihenfolge würde Herbert Eisenreichs „Ein Freund des Hauses“ wahrscheinlich für die exemplarische Erzählung über Ehebruch, die sie nicht sein soll, gehalten werden, und bei- der genauen Beobachtung des Tagesablaufs eines Steuerprüfers würde der Leser erst zum Schluß darüber klar werden, daß Heinrich Boll ganz sanft und leise auf einen möglichen, künftigen Ehebruch hindeutet. Dieser Einwand berührt die Qualität der Erzählungen in keiner Weise; sie ist durchwegs hoch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung