Nähmaschine & Regenschirm

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Die Kunsthalle Wien konfrontiert unter dem bei Salvador Dalí entliehenen Titel "Le Surréalisme, c’est moi!“ ("Der Surrealismus bin ich!“) einen Auszug aus dem Schaffen des exzentrischen bildenden Künstlers mit einigen Werken zeitgenössischer Kunstschaffender.

Mit traumwandlerischer Sicherheit inszenierte er sein Leben als Hochseilbalanceakt zwischen Genie und Wahnsinn. Eine herausragende Doppelbegabung, die es ihm sowohl erlaubte, alle Techniken und Tricks der Malereitradition in seinen Arbeiten umzusetzen, als auch sich bei allen gesellschaftlichen Anlässen mit zum Teil grotesken Auftritten als Star zu präsentieren. Von den einen wegen der verwegenen Formfindungen in seinen Gemälden hoch gepriesen, wird er von den anderen als malender Kasperl abgetan. Salvador Dalí, von dem hier die Rede ist, erfüllt beide Aspekte. Um diese eigenartige Spaltung auf ihre Gültigkeit oder Überzogenheit hin zu überprüfen, konfrontiert die Kunsthalle Wien in der mit dem Dalí-Ausspruch versehenen Ausstellung: "Der Surrealismus bin ich!“ einen Auszug aus seinem Schaffen mit Werken einiger zeitgenössischer Kunstschaffender.

Ausgangspunkt dazu bildet die berühmteste Textzeile aus der von Isidore Ducasse, genannt Comte de Lautréamont, verfassten "Bibel“ der Surrealisten, "Les Chants de Maldoror“, die lautet: "Schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“. Dalí porträtierte Lautréamont, indem er genau diesen Satz ins Bild setzte, und er schuf auch Illustrationen zum gesamten Buch, die in der Ausstellung zu sehen sind. Als Frontalangriff auf die herkömmliche Weltordnung, wie sie von den großen Denkern und Wissenschaftern konzipiert worden war, trifft sich bei Dalí der Text von Lautréamont mit Sigmund Freuds Beschreibungen einer ganz anderen, "träumerischen“ Welt. Als Vertreter des realistischen Surrealismus kombinierte Dalí nach dem Prinzip des "hasard objectif“, des objektiven Zufalls, ähnlich unzusammenhängende Objekte in seinen Bildern wie eben einen Regenschirm und eine Nähmaschine.

Männliche vs. weibliche Befindlichkeiten

Die Gegenüberstellung von Dalís Arbeiten mit jenen der nachfolgenden Generation beginnt mit Markus Schinwald, der Dalís für die Weltausstellung 1939 geschaffenen "Traum der Venus“, eine Inszenierung aus Wasserballett und Varietétheater, zu entschleunigen versucht, indem er zum Beispiel ein Aquarium mit Welsen - ausgestattet mit Dalís Markenzeichen, dem Bart - an der Rückseite bühnenartig erweitert. Louise Bourgeois griff wie Dalí auf psychoanalytische Werkzeuge zurück, allerdings vor allem um ihre problematische Kindheitsgeschichte künstlerisch aufzuarbeiten. So stehen sich als große Skulpturen Dalís "skatologisches Objekt“ mit einem zentral positionierten roten Frauenschuh und Bourgeois’ "Lady in Waiting“ gegenüber, das eine in eine Holzkabine eingeschlossene Spinne auf einem Fauteuil zeigt. Auch wenn bei Bourgeois Kombinationen von Unzusammenhängendem und andere Querverbindungen zu Dalí vorkommen, so stehen doch bei diesem männliche Allmachtsvorstellungen im Vordergrund, während Bourgeois mehr den geschunden weiblichen Körper als Ausdruck allgemeiner Befindlichkeit in den Mittelpunkt stellt.

Ein Parfum mit dem Namen "Gier“

In einem viel näheren Anschluss zu Dalí arbeiten Glenn Brown und Francesco Vezzoli. Brown übernimmt teilweise ganze Gemälde von Dalí, um sie anamorphotisch zu verzerren und in eine grellere Farbigkeit zu tauchen. Andererseits übernimmt er dessen Strategie, Körperteile in florale Formen aufzulösen in eigenständige Arbeiten. Vezzoli fügt in Dalí-Gemälde Köpfe von Hollywood-Diven ein, bestückt sie mit Glasperlenschmuck, der zu Tränen und in einem Dalí-Portrait sogar zu Augen mutiert. Ebenso wie Dalí am Phänomen des Stars interessiert, schuf er ein Werbevideo für ein in Wirklichkeit nicht existierendes Parfüm mit dem Namen "Greed - Gier“. Weitere filmische Querverbindungen zeigen Dalís Mitarbeit bei Hitchcocks Film "Spellbound“ oder Andy Warhols "Screentest“ mit einem kopfstehenden Dalí. In Jean-Michel Othoniels Video lösen sich Regenschirm und Nähmaschine vor den Augen der Betrachter in Luft auf. Heißt das nun dass das Lautréamont’sche Projekt der Zusammenführung von Unzusammengehörendem gescheitert ist? Oder bedeutet es vielmehr, dass die Betrachter nun ihrerseits ihre eigene Nähmaschine und ihren eigenen Regenschirm zu kombinieren haben?

Le Surréalisme, c’est moi!

Kunsthalle Wien

bis 23. 10., tägl. 10-19, Do bis 21 Uhr

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