Obsessive Prosa

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LYDIA MISCHKULNIG ALS ENTERTAINERIN DES UNHEILS.

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LYDIA MISCHKULNIG ALS ENTERTAINERIN DES UNHEILS.

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In ihren besten Momenten erweist sich Lydia Mischkulnig als eine der schnell erregbaren Spracherotikerinnen. Sie stürzt mitten ins Geschehen, das große Vorspiel braucht sie nicht. Dann gibt es keinen Satz, der sich nicht verführerisch räkelt oder herausfordernd lockt. Stolz stellt sie die Ergebnisse ihrer Liebesbeziehung mit der Sprache aus. Sie erzählt nicht nur Geschichten von Menschen in Not, sondern gleichzeitig eine vom aufregenden Leben der Wörter, die stets auf dem Sprung sind, der Blässe des Lebens grelle, schrille Farben anzudichten. So geht eine ungezähmte wilde Tochter im Geiste der Elfriede Jelinek vor, die in der Ereignislosigkeit des kleinbürgerlichen Alltags die Ausnahme sieht und es deshalb an allen Ecken und Enden krachen und zischen lässt: "die Worte fauchten im Ohr und die Bilder brannten im Kopf". Der Leser tut gut daran, in Deckung zu gehen. Denn in Szenen der Heimeligkeit dringen unversehens solche der Gewalt. Die Idylle und die Katastrophe sind bei Mischkulnig siamesische Zwillinge, die nur als Paar zu haben sind.

Ironische Grundierung

Diese Prosa hat etwas Obsessives, deshalb tritt sie mit Sprachwut auf. Eine böse ironische Grundierung schimmert durch. Bei den stärkeren Erzählungen ist das der Fall, andere aber zeigen ein ungutes Imponiergehabe oder geben sich gar naseweis.

Mischkulnig ist die grandiose Entertainerin des Unheils. Sie ist gut, wenn sie erfinden darf und in Dialog mit einer Sprache tritt, die ihr immer kühnere Szenen entlockt. Sie wird durchschnittlich, wenn sie mit einer Ästhetik der Beliebigkeit und Halbherzigkeit das Auslangen findet. Nichts mehr da von Spracherotik, sondern erschreckend magere Sätze wie solche: "Ich war allein. Ich hatte nichts vom Aufbruch der anderen bemerkt." Ganz dünn wird ihre Literatur aber, wenn sich die Autorin im eigenen Mark getroffen fühlt. Eine Satire auf den Literaturbetrieb ist das traurige Zeugnis einer Kränkung. Das zeigt der verhärmte Tonfall in jedem Augenblick.

Soll man Lydia Mischkulnig lesen? Unbedingt! Nur bedingungslos abkaufen darf man ihr nicht alles.

Macht euch keine Sorgen Neun Heimsuchungen Von Lydia Mischkulnig Haymon 2009 112 S., geb.,

15,90

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