Politische Filmkunst, für Bühnen übersetzt

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Was macht Film für Theater attraktiv? Zwei Bearbeitungen von Visconti-Filmen auf Wiener Bühnen bieten Gelegenheit, das zu fragen.

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Was macht Film für Theater attraktiv? Zwei Bearbeitungen von Visconti-Filmen auf Wiener Bühnen bieten Gelegenheit, das zu fragen.

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Auf Wiens Bühnen sind gegenwärtig zwei Inszenierungen zu sehen, die Filme des italienischen Altmeisters des Neorealismus Luchino Visconti (1906-1976) zur Vorlage haben. Vom bloß äußerlichen Anlass runder Jahreszahlen einmal abgesehen - heuer jährt sich der Geburtstag des großen Regisseurs zum 110. und der Todestag zum 40. Mal -wollen wir danach fragen, was seine Filme offenbar gerade heute für das Theater attraktiv macht.

Vom Gehalt der Form

Seit Mitte der 1960er-Jahren spezialisierte sich Visconti zunehmend vom Realismus weg hin auf elegische Historienfilme. In seinem ersten, der "deutschen Trilogie" zugehörigen Film "Die Verdammten"(La caduta degli dei, 1968), schildert Visconti, in ebenso verschwenderischer wie virtuoser mise en scène und Schauspielerführung, den Niedergang einer deutschen Großindustriellenfamilie in den Jahren 1932-34.

"Die Verdammten" hat Ulf Stengl für das Theater in der Josefstadt nun bearbeitet und Elmar Goerden mit vielen Stars des Theaters inszeniert. Gerahmt durch die Machtergreifung Hitlers -Reichstagsbrand, Bücherverbrennung und dem Röhm-Putsch - und angelehnt an Shakespeares Macbeth, wird von den mörderischen familiären Konflikten der Familie von Essenbeck erzählt. Um den Stahlkonzern zu retten, dient sie sich den Nazis an. Goerden konzentriert sich in seiner als Kammerspiel angelegten Inszenierung ganz auf den familiären Beziehungskosmos und darauf zu zeigen, wie die Brutalität der historischen Ereignisse bis in die privaten Familienverhältnisse durchschlagen, so dass sich die Familienmitglieder gegenseitig auslöschen. Man kann darin eine Allegorie des Untergangs einer Nation sehen, in dem sich eine hochkultivierte Gesellschaft ins pure Gegenteil verkehrt.

Was für uns heute lehrreich sein könnte, ist dieses Interesse an einer Gesellschaft des Übergangs, dem Moment, wo das Alte untergeht und das Neue noch nicht kommen kann. Umbruchsituationen, so auch Viscontis umfassender Pessimismus, bergen die Gefahr des moralischen Verfalls, dessen Folgen - um im Bild von Viscontis Film zu bleiben -die Umschmelzung aller Liebes-,Freundschafts-und Familienbande, letztendlich eine verwüstete Zwischenmenschlichkeit sind. Was das allenfalls mit dem Umbruch unserer heutigen politischen Landschaft, mit Populismus und postfaktischer Politikrhetorik zu tun haben könnte, klärt Goerdens Inszenierung nicht.

Viscontis spezifische kinematografische Darstellungsformen implizieren ein Verständnis, wie sich das Kino in seinen ästhetischen Möglichkeiten auf Geschichte beziehen kann. Anders gesagt, was politische Filmkunst sein kann. Der so entscheidende, durch den filmischen Stil vermittelte Gehalt, findet in Goerdens Inszenierung kaum Berücksichtigung. Ihm ist der Gehalt von Viscontis Film als Form völlig fremd. So bleibt bei ihm die Beziehung zwischen Geschichte und Gegenwart weitgehend unbeleuchtet. Zu sehr verflacht die im familiären Konflikt gespiegelte gesellschaftspolitische Analyse in der melodramatischen Vereinfachung.

Fantastisch: Markus Meyer

Anders verhält es sich in Bastian Krafts Bühnenfassung von Viscontis "Ludwig" (1972) am Akademietheater. In einer fulminanten 'Übersetzung' zeigt er eindrücklich, mit wieviel Gespür er spezifisch kinematografische Gehalte in adäquate Ausdrucksformen des Theaters zu überführen weiß. Nur drei Personen spielen in Krafts Inszenierung. Im Zentrum steht der fantastische Markus Meyer in der Titelrolle des Bayernkönigs, der bis zu seiner Absetzung (Entmündigung wegen einer angeblichen Paranoia) und seinem rätselhaften Tod im heutigen Starnberger See 1886,22 Jahre regierte.

Daneben spielt Regina Fritsch 'Sisi' Elisabeth von Österreich und Johann Adam Oest jenen parasitären Richard Wagner, den Ludwig einst als Mäzen nach München holte. Alle in weiß gekleidet, agieren sie wie Statuen, Denkmäler ihrer selbst, auf der fast leeren Bühne, über deren ganzer Breite ein gekippter Spiegel dem Betrachter eine zweite Perspektive, ein Bild des Geschehens bietet. Krafts Fassung gleicht einer Exkursion in die zunehmend sich verengende und einsamer werdende Welt dieser zentralen Figur des europäischen Ästhetizismus, eines verschwenderischen Kunstund Wagnerförderers, kompromisslosen Anbeters des Schönen und letztendlich verzweifelten Monarchen, der nicht nur an der Welt, sondern auch an seiner Homosexualität leidet.

Verschachtelt, vielgestaltig

Es ist die tragische Welt eines aus der Zeit Gefallenen, eines Zuspätgekommenen, einer, der sich nach einem längst untergegangenen absolutistischen Königtum französischer Prägung sehnte. Und Kraft bietet Meyer Gelegenheit für ein Solo ganz eigener Art, indem er ihn noch 14 weitere Figuren aus dem Leben des Monarchen spielen lässt, die -angelehnt an Viscontis Ausstattunsopulenz -projiziert werden und ihm die Möglichkeit bieten, mit sich selbst zu spielen. Das ist aber nicht Regieeinfall um seiner selbst willen, sondern Viscontis Bildfindungen einerseits wie auch Interpretation der Figur Ludwigs geschuldet.

An Krafts überaus sehenswerter Inszenierung, der formal verschachtelten, vielgestaltigen Interpretation wird deutlich, wie (nicht nur Viscontis) Filme mehr sein können als bloß Vorlagen: Nämlich Stoff für die Realisation ihres jeweils sozialen, historischen, politischen Gehalts.

Die Verdammten

Theater in der Josefstadt, 15., 21., 22. Dez.

Ludwig II.

Akademietheater, 18., 22., 26. Dez.

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