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Der zweite Ludwig
Es erscheint sonderbar, daß die Werke Luchino Viscontis der letzten Jahre bei Kritik und Publikum weitaus umstrittener sind als die Filme des heutigen Bergman oder Bunuel etwa, der beiden großen psychoanalytischen Symbolisten; dabei sind Viscontis Filmgemälde durchaus ähnlich strukturiert, auch sie stellen die menschliche Psyche • bloß, nur weitaus klarer — und eindeutiger ... Dazu kommt, daß sie von einer raffinierten, beinahe dekadenten Ästhetik sind (ähnlich der Welt des Oscar Wilde), von einer faszinierenden Sinneslust, von einer renaissancehaften Größe, die sich in einem Bilderrausch offenbart, den vielleicht nur Kenner voll und ganz zu erfassen vermögen.
Nach seiner „Götterdämmerung“ (Die Verdammten), dem Verfall einer deutschen Industriellenfamilie, und „Der Tod in Venedig“, dem Tod eines deutschen Künstlers, hat Visconti nun ein Bild über einen außergewöhnlichen deutschen König geschaffen, „Ludwig II.“, den „Märchenkönig“, der (laut Visconti) die „außergewöhnliche Fähigkeit besaß, außerhalb der Wirklichkeit zu leben, und die außergewöhnliche Unfähigkeit, sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden“. Daß dieser exzentrische und als Persönlichkeit sicher faszinierende Monarch gerade Visconti beschäftigen mußte, ist klar; und wie dieser italienische Aristokrat, Künstler und Ästhet ihn sieht, mag sieh zwar nicht immer mit dem authentischen Geschichtsbild decken (obwohl in den größten Zügen die historische Treue genau gewahrt wird, exakter als in der Verfilmung durch Helmut Käutner), doch es ist vielleicht wesensähnlicher und jedenfalls tiefergehend als dies bisher der Fall war.
In berauschend schönen Bildern ersteht hier das Traumporträt eines ungewöhnlichen Menschen, dessen Zwiespältigkeit wohl noch nie so erfaßt wurde wie hier durch diesen Italiener, einen „Fremden“ sozusagen, der von deutscher Sentimentalität entfernt, von Sentiments unbelastet, seine Deutung — eine durchaus mögliche und akzeptable — offeriert. Schade nur, daß der Film in der deutschen Version ein Torso ist, um mehr als eine halbe Stunde gekürzt — doch das Grundkonzept bleibt gewahrt: ein noch immer bestechendes Seelengemälde...
Der wohl intelligenteste, intellektuellste und bösartigste Zeichenfilm, der je gedreht wurde, weitab von den lieblichen oder komischen Märchenfiguren eines Walt Disney und Co. entfernt, ist Ralph Bakshis „Fritz the Cat“, entstanden nach der Comicserie von Robert Crumb; diese eminent gesellschaftskritische, politische und erotische Satire, weit von Pornographie entfernt (da sie keine Voyeurgelüste hervorruft, sondern nur kritisch demaskiert), ist ein Feuerwerk ebenso erheiternder Komik wie schaudererregender Bloßstellung. Allerdings: wirklich erfassen und voll in seiner Bedeutung verstehen wird sie wohl nur der Kenner amerikanischer Verhältnisse (doch wie weit sind wir noch entfernt von diesen?) ...
Demselben Publikumskreis kann auch — allerdings aus anderen Gründen — die amerikanische Musi-calverfllmung „Der große Walzer“, eine unwahrscheinlich kitschige, unwahre, dilettantische und hinreißend „amerikanische“ Filmbiographie unseres Johann Strauß Sohn angeraten werden: dieser Unfilm ist so grotesk, daß eine Kostprobe schon (ganz aushalten dürfte ihn wohl niemand) genügt, um die Mentalität einer Nation zu entlarven. Die richtigen Wiener allerdings werden sich wohl über ihn — auch nicht mit Unrecht — ärgern.
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