"Programmiert auf Xenophobie"

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Der Humanethologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt über Fremdenangst und die dunkle Vergangenheit seines Mentors Konrad Lorenz.

Der Großstadtmensch ist eine scheue Kreatur. Zu scheu, um mit fremden Artgenossen ohne näheren Anlass ins Gespräch zu kommen. Geht es nach Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Schüler von Konrad Lorenz und Begründer der Humanethologie, also der Verhaltensforschung am Menschen, dann ist diese Scheu gegenber Fremden stammesgeschichtlich vorprogrammiert. "Wir suchen den Kontakt. Zugleich haben wir Angst, weil der Fremde immer auch ein Feind sein kann", meint Eibl-Eibesfeldt im Furche-Gespräch. Der Großstadtmensch hat für diese Ambivalenz eine praktikable Lösung gefunden: polite inattention. "Wir maskieren auf der Straße unseren Gesichtsausdruck, um nicht zur Kommunikation einzuladen", weiß der Humanethologe. Ist jedoch ein Tier im Spiel, fällt diese Scheu schnell ab. Ein Versuch des Wiener Ludwig-Boltzmann-Instituts für Stadtethologie, das Eibl gemeinsam mit Karl Grammer leitet, hat diese These bestätigt: "Wir haben in einem Park in München eine hübsche junge Frau auf eine Bank gesetzt und beobachtet, ob sie angesprochen wird. Die meisten gingen vorbei. Sobald aber ein Hunderl da war, konnte man sich ihr unbefangen nähern und über den Hund reden, ohne das Gesicht zu verlieren."

Gesellschaftlichen Phänomenen wie diesem ist Eibl-Eibesfeldt seit den sechziger Jahren auf der Spur. Zuvor hatte er - unter anderem als Teilnehmer zweier Expeditionen des Meeresforschers Hans Hass - das Verhalten der Säugetiere untersucht.

Den Vorwurf, allzu schnell vom Tier auf den Menschen geschlossen zu haben, weist der Humanethologe zurück: "Ich habe in Langzeitstudien eine Dokumentation von fünf Kulturen angelegt. Mir geht es um die Universalien im menschlichen Verhalten." Eine dieser Universalien sei eben die Angst vor dem Fremden, die Xenophobie. Diese Überlegung hat Eibl-Eibesfeldt zur heftig umstrittenen These veranlasst, dass eine "multikulturelle Immigrantengesellschaft" notwendigerweise zum Scheitern verurteilt und deshalb die Zahl an Einwanderern zu reduzieren sei - frei nach dem Motto "Das Boot ist voll": "Wenn man in einem besetzten Territorium sich abgrenzende Minoritäten aufbaut, kommt es zum Konflikt." Beschränkte Ressourcen, etwa in Form von Arbeitsplätzen, würden die Abgrenzungsbestrebungen weiter erhöhen.

Angesprochen auf die jüngste Biografie über Konrad Lorenz, die einmal mehr die Sympathie des späteren Medizin-Nobelpreisträgers (1973) für den Nationalsozialismus dokumentiert und als Beispiel Zitate aus Lorenz' "Domestikations"-Aufsatz von 1940 anführt (er sprach darin von der "dringende[n] Notwendigkeit strengster Selektion zur Ausmerzung der mit Verfallserscheinungen ... behafteten Gesellschaftselemente"), zeigt sich Eibl-Eibesfeldt kritisch: "Lorenz hat sich später für diese Ausdrucksweise entschuldigt und gemeint, dass er es sich nie hätte vorstellen können, dass die Nazis mit Ausmerzung die Ermordung von Leuten meinten." Lorenz sei eben ein Opportunist gewesen, meint Eibl-Eibesfeldt: "Aber wer von den heutigen Historikern kann beschwören, dass er damals nicht ebenfalls opportunistisch gewesen wäre?" DH

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