Hartwig Bischof über die Video-Installationen und Filme von Ursula Mayer, der diesjährigen Trägerin des Otto Mauer-Preises.
Is it real?" wiederholt die Sängerin in mehreren Schleifen. Sie sieht dabei die Betrachter an, neben ihr steht eine Gitarristin, mit dem Rücken zur Bildoberfläche. In den Spiegeln dahinter - die Szene ist in einem Spiegelkabinett arrangiert - ändern sich diese Ansichten wechselweise, einmal Vorder-, dann wieder Rückseite. Erst wenn man am rechten vorderen Bildrand der Videoprojektion den Arm der Sängerin auftauchen sieht und wenn am Ende des Liedes die Gitarristin ihr Instrument zu Boden legt und den Bildraum verlässt, fällt auf, dass man je schon einem Spiegelbild gegenüberstand. Sprich, in Wahrheit wendet sich die Sängerin vom Publikum ab, die Gitarristin diesem zu. Was ist nun wahr? Gestellt wird diese Frage in der komplexen Videoinstallation von Ursula Mayer, die den diesjährigen Monsignore Otto Mauer-Preis erhält.
Feuerspeiende Musikerin
Als gelernte Arrangeuse von Fotografien und Videos fokussiert Ursula Mayer diese Frage immer wieder auf zwei große Bereiche. Zunächst auf die Gender-Frage, indem sie weibliche und männliche Rollen von ihren Protagonistinnen - zu denen sie selbst auch gehört - vorführen lässt. In den früheren Arbeiten, wobei hier an einen Zeitraum von ungefähr sieben Jahren zu denken ist, durchwandert Mayer in einem spezifischen Retroblick die Punkszene der 1970er Jahre sowohl in ihrer optischen als auch musikalischen Dimension. Wie einige andere Kunstschaffende aus dem bildnerischen Bereich tritt auch Mayer als Musikerin in Aktion, wobei sich das Spektrum in ihren Performances durchaus bis zur Feuerspeierin ausweiten kann.
Punk, das war jene Generation, die ihre Zukunftslosigkeit hinausschrie, die einmal mehr jegliche Vorgaben, wie sich ein derartiger Schrei an künstlerische Regeln anpassen ließe, nicht nur ignorierte, sondern die Zerstörung dieser Vorgaben zur neuen Regel erhob. Wie immer schlägt bei erfolgreichen, auch politisch erfolgreichen Gegenbewegungen, die Ironie der Geschichte zu: Punk konnte erst dann das Niveau eines kulturellen Mythos' mit unverwechselbaren Codes erreichen, als seine Regeln ausformuliert und in die Marketingmaschinerie der creative industries integriert waren. Folgerichtig inszeniert Ursula Mayer ihre Reminiszenzen an den historischen Punk in einer Form, die man Glamour Trash nennen könnte.
Gender und Architektur
Dann bearbeitet Ursula Mayer in den jüngeren Arbeiten die Geschlechterfrage vermehrt in der Auseinandersetzung mit architektonischen Räumen. Im Video "Crystal Gaze" führen drei Frauen ein philosophisches Gespräch über ihre Identität. Gekleidet im Outfit der zwanziger Jahre, zwischendurch mit musikalischen Sequenzen aus jener Zeit ergänzt, erinnern die drei an Sigmund Freuds Schichtung der Person in Ich, Es und Überich. Die drei Schönheiten geben sich einem gepflegten Diskurs hin, bloß bei der Besprechung der wohl gemeinsamen Vergangenheit überlagern sich die drei Stimmen, wenngleich nicht wirklich störend, sondern eher als Ansatz eines mehrstimmigen Gesangs. "Was kann man sich mehr wünschen, als sich auszusetzen", fragt eine der drei. Der Kontext suggeriert, dass diese Frage nur eine starke Persönlichkeit stellen kann.
Was ist real?
Doch dann unterbricht die eingestreute Musik die Idylle. Der Textzeile "Is there all there is?" folgt die Aufforderung zum Tanz. Die drei Grazien - die kunstgeschichtlichen Anklänge, die Mayer einbaut, sind unübersehbar - befinden sich plötzlich hinter einem Vorhang aus Glasperlen. "Du hast mich verletzt", kommt es einer über die Lippen, und es bleibt offen, ob damit eine andere von den dreien, die scharfen Kanten der Glasstücke, das verzerrte und ausschnitthafte Spiegelbild auf dem Vorhang oder gar die Schnitttechnik des künstlerischen Mediums gemeint ist. Die Antwort des Spiegels - sei er nun aus Glas oder eine (Video-)Leinwand - wiederholt Ursula Mayer immer wieder. Sie lautet: "Is it real?"
Im Lentos Kunstmuseum Linz läuft zurzeit Ursula Mayers erste Museums-Einzelausstellung, die vor allem ihr aktuelles filmisches Werk präsentiert. Erstmals wird dabei der Film "The Crystal Gaze" gezeigt.
Preisverleihung: 14. 11., 19.30 Uhr Festräume des Erzbischöflichen
Palais, Wollzeile 2, 1010 Wien
Ausstellungseröffnung:
15. 11. 19.30 Uhr, JesuitenFoyer
Bäckerstraße 18, 1010 Wien
Ausstellung bis 30. 11. Mi-Sa 13-18, So 10.30-12.30 Uhr
Ursula Mayer
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Lentos Kunstmuseum Linz
Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz
www.lentos.at
Bis 17. 2. 2008 täglich 10-18 Uhr,
Do 10-21 Uhr