Sie kann die Tinte nicht halten

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Ein partiell faszinierender Jelinek-Text wurde zum hochelitären Insider-Ritual aufgeblasen.

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Ein partiell faszinierender Jelinek-Text wurde zum hochelitären Insider-Ritual aufgeblasen.

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Acht Stunden "Sportstück" von Elfriede Jelinek - ein grausiger Gedanke. Auch die vierdreiviertel Stunden am Sonntag, nach der zweiten Kürzung (wir konnten die Premiere nicht besuchen) waren genug, oder eigentlich schon etwas mehr. Genug dafür, was Elfriede Jelinek in diesem Stück zu sagen hat. Genug, um die Einfälle eines großen Regisseurs, Einar Schleef, auszubreiten. Das von manchen Kritikern zitierte Marstheater bleibt den "Letzten Tagen der Menschheit" vorbehalten. Karl Kraus porträtierte eine Epoche.

Elfriede Jelineks "Sportstück" hingegen läuft auf eine Gleichsetzung von Sport, Krieg und Patriarchat hinaus. Differenzierungen finden nicht statt. Eine Handlung sowieso nicht. Und argumentiert wird auch nicht. Der Text ist ein riesiges Konglomerat von Monologen. Ein gigantisches Plakat. Jelinek und Schleef gemeinsam verkünden die Botschaft, daß der Kunst, oder besser: den Großstars des Theaters, keine Fesseln angelegt werden dürfen. Wer dabei nicht mitgeht, ist ein Banause, ein Wiener. Das ganze ist ein Regie gewordener, ziemlich präpotenter Anspruch.

Um kein Mißverständnis entstehen zu lassen: In diesem Stück stehen Wahrheiten und brillante Formulierungen für, sagen wir, zwei bis drei Theaterstunden. Daß Elfriede Jelinek ihre Textflut nicht bändigen, den Fluß der Tinte nicht endlich anhalten konnte, tut dem Ganzen nicht gut, und wenn dieser Abend trotzdem wichtig, interessant und über weite Strecken faszinierend ist, dann trotz, nicht dank seiner Länge. Aber auch Einar Schleef konnte die Bilder nicht halten.

Möglicherweise schwebt ihm mit dem Theater etwas Ähnliches vor wie manchen anderen mit ihren Organisationen: Kadertheater. Theater für unkritische Bewunderer. So eine Art Gefolgschaftstheater. Wem-es-nicht-paßt-der-soll-verschwinden-Theater. Nach der (nun einzigen) Pause macht er den Test: Vierzig Minuten Reden auf zuerst total, dann fast ganz abgedunkelter Bühne. Zwei Monologe, nur einer davon spannend. Wer geht, ist ein Banause.

Auf diese Weise wurde Elfriede Jelineks "Sportstück" zu etwas gemacht, was hoffentlich nicht im Sinne der Dichterin ist: Ein hochelitärer Insider-Event, ein snobistisches Zugehörigkeits-Ritual. Eine der Veranstaltungen, auf die Claus Peymann den dümmlichen, aber für seine weitere Karriere in Deutschland förderlichen Anspruch stützen wird, er sei zu gut für Wien gewesen. Sehr zurückgenommen, sehr sympathisch las Elfriede Jelinek zuletzt ihren Epilog. Danach flehten die Krinolinenmädchen: "Brot! Brot! Brot!" und die Rotarmisten donnerten sie nieder: "Kunst! Kunst! Kunst!" Ich bin für die Krinolinenmädchen. Einar Schleef doch hoffentlich auch?

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