Allerlei Bekanntes aus dem Jelinek-Imperium

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Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann inszeniert seine erste Jelinek am Akademietheater: Die Erstaufführung der Langfassung von "Schatten (Eurydike sagt)“. Ein Missverständnis.

Es ist der wohl persönlichste Text von Elfriede Jelinek. Und zugleich auch nicht. Denn Jelinek spricht einerseits von ihrer Rolle als Künstlerin, andererseits abstrahiert sie die individuelle Erfahrung und blickt auf die Geschlechter am Beispiel des Mythos von Orpheus und Eurydike. Jelinek begibt sich in den Hades (wo sie in Hartmanns Inszenierung längst angekommen ist), um an ihren Geschlechtsgenossinnen ebenso wie an dem Mann kein gutes Haar zu lassen.

So dröseln Matthias Hartmann und die Dramaturgin Amely Joana Haag den Textblock auf und verteilen Passagen an acht Figuren: Eine davon ist die Autorin selbst, die der Puppenspieler (Nikolaus Habjan) gibt. Er nimmt mit einer Jelinek-Puppe an der Bühnenrampe Platz, lässt sie aus dem Manuskript lesen und das Spiel von sieben Frauenfiguren kommentieren, die einmal Eurydikes Sätze sprechen, dann wieder als Chor (mit gleichförmiger Maske) eine hysterische Mädchenhorde bilden.

Achtung: Freud

Als Groupies kreischen sie den von einer beleuchteten Treppe herabsteigenden Popstar (Lucas Gregorowicz) sehnsuchtsvoll herbei. Hartmann hat den Frauenchor altersmäßig quer durchs Ensemble besetzt, egal ob 30 oder 60, sie sehen wie Barbiepuppen aus. Schließlich ist eine jede von ihnen auch "nur“ eine Frau. Wie Eurydike - hier Schriftstellerin und Frau des Sängers - sind sie immer nur Objekt und kommen über diesen Status nicht hinaus.

Buchstäblich mit dem Vorschlaghammer macht es Hartmann bewusst: Wir haben es mit dem guten, alten Sigmund Freud zu tun. Sabine Haupt bindet sich ein entsprechendes Bärtchen um und haut regelmäßig auf einen großen Fernsehapparat, der mittels Pannendreieck "Achtung: Freud“ vermittelt.

Als Objekt (der Begierde) sind sie schlussendlich nichts, die sich mit teuren Kleidern behängen, um über die Leere hinwegzutäuschen und von Neurosen abzulenken. Eine Einkaufstasche aber verrät es: ANGST steht in großen Lettern unter dem Palmers-Signet. Doch was bleibt diesen Frauen anderes übrig, als ihren Körper, ihre nackte Existenz in die Waagschale zu werfen?

Hartmann kokettiert mit Offensichtlichkeiten. Und er verharmlost die Jelinek’schen Heraus- und Denkanforderungen. Die Inszenierung bricht dort ein, wo Jelineks Denkimpuls beginnt: an der Distanz zwischen Gesagtem und Gemeinten, diesem bewussten Raum zwischen der sichtbaren Oberfläche und dem Darunterliegenden, dem Spiel mit tradierten Mythen und trivialen Bildern.

Wie schon in den letzten Jahren legt Elfriede Jelinek kein dialogisch strukturiertes Stück vor, sondern liefert reine Textflächen ab. Damit wird es zur klaren Aufgabe der Regie, diese dramaturgisch neu zu ordnen, sie Schauspielern zuzuschreiben, chorisch zu lösen, als Bild oder Musik zu entwerfen oder schlicht zu streichen. Diesen Herausforderungen stellten sich Regisseure wie Einar Schleef, dessen "Sportstück“ am Burgtheater Theatergeschichte schrieb, oder auch Jossi Wieler, der mit Jelineks "Wolken.Heim“ und zuletzt mit "Rechnitz (Der Würgeengel)“ feine, kluge, ja atemberaubend behutsame szenische Antworten auf diese so ganz und gar undramatischen Vorlagen gefunden hat. Und auch Nicolas Stemann reüssiert mit seinen Jelinek-Arbeiten zwischen Performance, Installation und Konzert.

In der Tiefe ungehört

Vor allem auf der Stemann-Tastatur bewegt sich Hartmann, der verspielt durch die vorgegebenen Interpretationen mäandert, doch nicht zu einer eigenen Handschrift findet. Die Uraufführung (der Langversion, denn im Juni letzten Jahres reüssierte Johanna Wokalek in Essen mit einer gekürzten Fassung) dieser Jelinek ist unterhaltsam, mit vielen Ohrwürmern, die der wehklagende Orpheus in knallengen Hosen trällert, und bekannten Topoi aus dem Jelinek-Imperium. In ihrer Tiefe bleibt die Autorin jedoch ungehört.

Weitere Termine

25., 30. Jänner, 10., 19., 20. Februar

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