"Theater wird wichtiger“

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Die FURCHE sprach mit dem Burgtheaterdirektor und seiner Dramaturgin Amely Joana Haag über das neue Stück von Elfriede Jelinek, weibliche Erfahrung und die Zukunft des Theaters. Das Gespräch führten Patric Blaser und Julia Danielczyk

In der aktuellen Spielzeit hat das Wiener Burgtheater einen Österreich-Schwerpunkt gesetzt. Nach den Herbstpremieren mit Stücken von Ferdinand Raimund, Hugo von Hofmannsthal, Ewald Palmetshofer und Thomas Bernhard findet am 17. Jänner die Uraufführung von Elfriede Jelineks "Schatten (Eurydike sagt)“ in der Regie von Matthias Hartmann statt.

Die Furche: Sie kommen gerade von der Probe von Elfriede Jelineks "Schatten (Eurydike sagt)“. Was interessiert Sie an dem Text?

Matthias Hartmann: Das ist schwer zu beantworten. Jelinek zu inszenieren, das ist massive Gedankenarbeit. Sie geht von einer kollektiven weiblichen Erfahrung aus, und das ist ein Kosmos, der mir eigentlich fremd ist. Doch bei der Arbeit daran gewinne ich Erkenntnisse. Dementsprechend möchte ich Proben auch als eine Art Erkenntnisgewinn nennen. Sowohl formal als auch inhaltlich erschließt sich mir eine neue Welt, die ich gerne den Zuschauern mitteilen möchte.

Die Furche: Was sind das für Erkenntnisse?

Hartmann: Zum einen, dass es sich um einen hochmusikalischen Monolog handelt, der in Schichten aufgebaut ist. Wir haben ihn in sieben weibliche Stimmen aufgeteilt, um so die verschiedenen, einander widersprechenden Stimmen in einer Person erklingen, das Einzelschicksal zu einer gesellschaftlichen Erfahrung werden zu lassen.

Amely Joana Haag: Inhaltlich steht "Schatten (Eurydike sagt)“ in der Tradition von Jelineks Prinzessinnendramen. Es sprechen hier Frauenfiguren wie Schneewittchen oder Dornröschen, aber auch reale wie etwa Lady Diana oder Jackie Onassis. Sie übernehmen die Autorinnenschaft über ihre Geschichte. Sie schreiben ihren eigenen Mythos neu. Eurydike ist bei Jelinek eine moderne Frau, die nicht an die Liebe glaubt, die sich Orpheus’ Projektion verweigert. Lieber gleitet sie zurück in den Schatten.

Hartmann: Jelinek wirft hier einen weiblichen Blick auf in der Regel von Männern beschriebene oder geschaffene Frauenfiguren und stellt sie in ganz neue Bezüge.

Die Furche: Gibt es denn einen weiblichen Blick?

Hartmann: Ich bin davon überzeugt, dass es einen weiblichen Blick gibt. Ich glaube es noch mehr nach dieser Arbeit. Diesen zu beschreiben, wird aber sofort gefährlich. Zuschreibungen sind schwierig, genauso wie wenn man versuchte, Menschen aus Finnland gegenüber Menschen aus Süditalien über bestimmte Merkmale zu unterscheiden - da läuft man Gefahr in rassistische Theorien hineinzugeraten. Ohne jetzt auf die Unterschiede genauer einzugehen, lässt sich klar sagen, dass ein Mann so einen Text nicht schreiben würde. Ich finde überhaupt, dass es viel zu wenig Raum gibt, um auf die Unterschiedlichkeit zwischen Frauen und Männern einzugehen.

Die Furche: Dort, wo es nicht um Sichtbarkeit geht, sind ja oft mehr Frauen. In Positionen, die mit Prestige und Repräsentanz verbunden sind, werden eindeutig mehr Männer beschäftigt. Könnte das Burgtheater aus seiner Position dem nicht entgegenwirken?

Hartmann: Das tun wir ja auch. Wir holen junge, männliche und weibliche Regietalente, wie Anna Bergmann oder Antú Romero Nunes. Im Vestibül bereitet gerade eine Regieassistentin ihre Abschlussinszenierung vor. Aber ich glaube eben nicht an Quote, sondern mir geht es um künstlerische Qualität.

Die Furche: Wenn Sie von den Erkenntnissen sprechen, die Sie aus der Arbeit an dem Jelinek-Text gewinnen, stellt sich die Frage, wie sich diese an die Zuschauer vermitteln.

Hartmann: Das Theater ist ein Ort, an dem sich Menschen versammeln, um eine Art von unmittelbarer Kommunikation zu betreiben. Was mich interessiert, ist, dass man am Theater stets mit dem Vorgang der Unterstellung und Behauptung arbeitet. Der Zuschauer muss mit mir gemeinsam dieser Suggestion folgen, die ich hier aufstelle. Das braucht die Verabredung zu Kommunikation und sinnlicher Mitarbeit, die auf eine besondere Art wieder Erkenntnisse generiert.

Die Furche: Sie wurden bis 2019 verlängert. Welche Akzente möchten Sie setzen?

Hartmann: Wir sehen unsere guten Besucherzahlen nicht nur als Resultat unserer guten Arbeit, sondern auch als ein Phänomen der Zeit.

Die Furche: Wie meinen Sie das?

Hartmann: Das Theater ist wieder wichtig und wird ein immer wichtigerer Ort. Denn Theater ist ein Sehnsuchtsort nach mehr Kommunikation und mehr direkter Auseinandersetzung. Das ist eine Beobachtung, die ich gegenwärtig mache, dass das Kino eher ins Theater geht. Das fing mit "Dogville“ an, und das geht immer weiter. "Anna Karenina“ der - zwar eher missglückte - Kinofilm spielt im Theater, weil das Kino mit dem arbeitet, von dem es glaubt, dass es ihm abhandengekommen ist. Doch das wird ein Sisyphusunternehmen sein. Nämlich: Theater als ein ritualisiertes Versammeln, wo Austausch stattfindet, wo Zuschauer und Bühne gemeinsam über Menschen kommunizieren. Diese Sehnsucht wird in einer virtuellen Welt immer stärker werden. Das ist der Globalisierungseffekt, das Ergebnis der virtuellen Explosion. Meine Bestrebungen sind daher, die formalästhetischen Aspekte von Theater weiterzuentwickeln. Das könnte auch die politische Dimension von Theater wieder sein, so ist es auch entstanden. Es ist ein merkwürdiger Fehlschluss, dass wir in politisch virulenten Zeiten das Sprachrohr von Gerechtigkeit sein müssten, ein Instrument der Aufklärung. Denn dann müssten wir die Menschen immer mit dem Richtigen und dem Falschen konfrontieren. Aber wer verfügt über das Wissen um das Richtige, wer über Wahrheit? Das Theater ist ein Ort der Diskussion. Wir wollen eigentlich etwas Schizophrenes ergründen, deswegen interessieren uns Konflikte mehr als Lösungen. Mich interessiert nicht mehr dieses Verständnis von politischem Theater als Vermittlung von Botschaften, sondern die besondere Form der Auseinandersetzung. Theater ist ein Ort, der Widersprüchliches sinnlich präsentiert und zur Diskussion stellt. In diesem Sinne ist das Theater ein hochmodernes Medium.

Die Furche: Sie werden im Rahmen Ihres Österreich-Schwerpunktes im April Grillparzers "Die Ahnfrau“ inszenieren. In einem Interview mit dem "Standard“ sagten Sie, dass es sich um ein Ballaballa-Stück handelt. Was meinen Sie damit?

Hartmann: Ich mache das Stück, weil ich es für bescheuert halte. Aber es hält. Es ist alles sehr rudimentär angelegt. Tiefergehende Ebenen habe ich bisher noch nicht gefunden, was nicht heißt, dass ich nicht auch hier auf den Proben zu neuen Ebenen vorstoßen kann. Auf alle Fälle ist der Text sehr belastungsfähig, und ich habe vor, ihn für ein formales Experiment zu benutzen, ihn zu "übermalen“, und das wird ein Abenteuer sein, auf das ich selber schon sehr gespannt bin.

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