Spannungsgeladen und verwirrend

Wer bin ich in Jerusalem? Touristin oder Pilgerin? Neugierig, distanziert, zornig, amüsiert oder ergriffen? Was bedeutet es für eine protestantische Christin, in der Grabeskirche gewesen zu sein, diesem verschachtelten Gemäuer, um dessen Verwaltung sich sechs christliche Konfessionen (meine nicht) so sehr streiten, dass man die Schlüsselgewalt schließlich einer alteingesessenen muslimischen Familie übergeben hat?

Auf dem Berg im Osten der Stadt standen wohl einst der salomonische, dann der zweite jüdische Tempel, später ein Jupiterheiligtum und dann womöglich eine Kirche. Heute erreicht ihn die Nichtmuslimin durch zwei israelisch kontrollierte Checkpoints. Der seit Jahrhunderten über all den Schichten thronende Felsendom aber, ohne dessen vergoldete Kuppel die Stadt um ein wichtiges Wahrzeichen ärmer wäre, und die Al-Aqsa-Moschee bleiben mir verschlossen. Politische Konflikte können ein so horrendes Ausmaß annehmen, dass die religiöse Basistugend der Gastfreundschaft auf der Strecke bleibt.

Schwarze Hüte, trotzige Kopftücher, Kreuzanhänger in allen Farben und Größen, koschere Falafel-Pizzeria, Internetcafés, Kippa-Berge, schluchzende Nonnen, beduinische Handarbeiten, Weihrauchwolken und ein österreichisches Hospiz, in dessen Kaffeehaus Sufis Sachertorte verspeisen: Ein derart spannungsgeladenes Durcheinander wie die Jerusalemer Altstadt ist mir noch nie im Leben begegnet. Zum Glück gibt es hilfreiche Kinder, die mich für einen Dollar um siebeneinhalb Ecken zum Jaffa-Gate zurück geleiten, wo ich im melkitischen Pilgerhaus wohne. Melkitisch? Sind das jetzt die Katholiken, bei denen die Priester heiraten dürfen? Warum sieht dann aber ihre Kirche so orthodox aus?

Hilfe! Braucht Gott wirklich irdische Zentralen? Wozu?

* Die Autorin ist Schriftstellerin u. evang. Theologin in der Schweiz