Tristesse, in der die Zeit nicht vergeht

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In Juliane Stadelmanns "Noch ein Lied vom Tod“, wird der Plattenbau zur Westernkulisse. Das Stück wurde im Schauspielhaus Wien uraufgeführt.

Im Jahr 1999 starben zwei Kleinkinder in einem Plattenbau in Frankfurt an der Oder, weil sich niemand um sie gekümmert hatte. Die junge Mutter hatte ihre kleinen Söhne mehrere Tage allein gelassen, um die Zeit bei ihrem Geliebten zu verbringen. Die Kinder müssen geweint, geschrien und getobt haben, bevor sie schließlich verdursteten. Ihre Mutter kam vor Gericht und wurde verurteilt. Als sich Empörung und Schrecken über die Tat langsam legen, taucht die Polizei auf und untersucht die Hintergründe dieser grausamen Geschichte.

So beginnt das Stück "Noch ein Lied vom Tod“ der 29-jährigen Autorin Juliane Stadelmann, die mit dem Hans-Gratzer-Preis ausgezeichnet wurde. Sie verwebt diese Geschichte der menschlichen Gleichgültigkeit mit dem klassischen Western-Genre. Florian von Manteuffel spielt Kommissar Udo, der akkurat in jenem Moment auftaucht, als das Gerichtsverfahren abgeschlossen und die Mutter verurteilt ist. Hier soll der Alltag wieder einkehren, ist doch die Täterin gefunden. Was will also der Kommissar noch untersuchen, fragt Hans, der Wirt (Steffen Höld) der Vorstadt-Kneipe. Oder sollen wir besser Saloon sagen? Denn Udo wird wie ein Sheriff begrüßt, dessen Stern man bewundern will und der frischen Wind in das trostlose Leben der Siedlung bringen soll. Er wirkt wie ein Held aus einer anderen Welt. In Wirklichkeit jedoch ist er überfordert von dieser endlosen Tristesse, in der die Zeit nicht zu vergehen scheint.

Hilflosigkeit und das Bedürfnis nach Fürsorge

Als absurde Figur hat Juliane Stadelmann die Figur des Tom eingebaut, ein Riesenkerl (Simon Zagermann), der immer noch ein Kind ist. Tom trägt eine Melone und ein schwarzweißes Kostüm, quasi im "A Clockwork Orange“-Stil wird er zum Aus-der-Zeit-Gefallenen. "Jeden Morgen wach ich auf, und warte, dass an mir ein Anzug gewachsen ist. Dass ich meine Hand ausstrecke und nach meinem Aktenkoffer neben dem Bett greife. Dass ich erwachsen werde.“ Tom wächst und wird doch nicht erwachsen. In dieser absurden Figur bündeln sich Hilflosigkeit und das Bedürfnis nach Fürsorge und Achtsamkeit. Doch von nichts kommt nichts, so Stadelmann. Und in dieser Siedlung schon gar nicht. Wer soll denn die beiden Kinder schreien gehört haben? Die Alkoholikerin Clara, die sich seit Jahrzehnten betäubt? Die Lebenslust früherer Jahre deutet Schauspielerin Johanna Tomek in einer wunderbar tragikomischen Szene an, die von ihrer Zeit als Erzieherin erzählt. Nun ist sie als Bestatterin tätig. Die Lebendigen hat sie gegen die Toten getauscht.

Oder die junge Nachbarin Nadine (Barbara Horvath), die sich lustlos an Udo heranmacht, um die Zeit totzuschlagen? Warum sollte diese Leute, selbst mehr tot als lebendig, das Weinen zweier Kinder aus der Nachbarschaft interessieren? Stattdessen schwärmen sie von Makaken und Riesenkakteen, mit denen man ebenso sprechen kann und die keine Bedürfnisse haben.

An diesem Abend, an dem die Zeit ebenfalls recht langsam vergeht, beeindruckt vor allem Simon Zagermann als liebes- und lebenshungriger Mensch.

Noch ein Lied vom Tod

Schauspielhaus Wien

16., 22. Jänner, 4., 7., 17. Februar

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