Unter dem Tschador

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Die iranische Künstlerin Shirin Neshat in der Kunsthalle Wien.

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Die iranische Künstlerin Shirin Neshat in der Kunsthalle Wien.

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Gebannt steht der Ausstellungsbesucher im Zwischenraum: Auf der einen Seite zeigt die Bildfläche einen Sänger, der ein Sufi-Liebeslied nach dem Gedicht eines persischen Mystikers vor einem männlichen Publikum singt. Auf der gegenüberliegenden Bildfläche steht eine dem Betrachter abgewandte Frau im schwarzen, islamischen "Tschador" mit Blick auf die leeren Sitze eines Saals. Plötzlich zeigt die Kamera das ausdrucksvolle Gesicht der Frau. Jetzt beginnt sie zu singen - flüsternd, schreiend und ohne Worte. Überrascht blicken die Männer und der Sänger sie an. Direkt und dennoch subtil thematisiert die packende, schwarzweiße Doppelprojektion in einem bildlichen Dialog das Thema Feminismus und zeitgenössischer Islam.

"Turbulent"ist eine von drei Videoinstallationen der im Iran geborenen Künstlerin Shirin Neshat, die derzeit in der Kunsthalle Wien zu sehen ist. Neshat - bei der vorjährigen Biennale in Venedig ausgezeichnet - ging als Jugendliche nach Kalifornien, um Kunst zu studieren. Als sie Anfang der neunziger Jahre den Iran besuchte, war sie von den Veränderungen des Landes so betroffen, daß sie begann, die Eindrücke künstlerisch zu beleuchten. Dabei greift sie auf soziale, gesellschaftliche und religiöse Codes islamischer Gesellschaften zurück, hinterfragt das Wertesystem von Fundamentalismus und Feminismus, ohne plakative Antworten zu liefern.

Zunächst entsteht in den Jahren 1993 bis 1997 die umfangreiche Serie "Women of Allah", durch die Neshat international auf sich aufmerksam macht. In dem umfangreichen schwarzweißen Fotozyklus konfrontiert Shirin Neshat Bilder mit Texten. In die abgebildeten Körperteile iranischer Frauen schreibt sie persische Lyrik ein. Neshat thematisiert durch die Überlappung von Bild und Kalligraphie neben den gesellschaftspolitischen auch mediale Fragen und bewegt sich somit ganz im gegenwärtigen Kunstdiskurs.

Für so manchen Kunsttheoretiker mag die direkte und leicht lesbare Bild- und Symbolsprache Neshats zu affektiv erscheinen. Die Ausstellungsbesucher werden die Sinnlichkeit und direkte Ausdruckssprache genießen und davon überzeugt werden, daß Gegenwartskunst nicht immer spröde und kopflastig sein muß, um Nachdenklichkeit und Reflexion anzuregen.

Bis 4. Juni 2000, täglich 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Infoline 01/ 521189-33, http://www.kunsthallewien.at, Katalog zur Ausstellung ATS 240.-.

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